Pros und Contras Kann Neuss 20 Millionen Euro für Museumserweiterung aufbringen?

Neuss · Am Freitag wird im Stadtrat entschieden: Kann die Stadt Neuss 20 Millionen Euro für Kunstsammlung aufbringen? Es ist — zumindest in der Bevölkerung — eines der umstrittensten Themen. Bei den Lokalpolitikern gab es dagegen bisher große Einigkeit — bis jetzt.

Die Museumserweiterung könnte im Stadtrat am kommenden Freitag für Zündstoff sorgen.

Foto: Foto: Thomas Broich

Die Stadt Neuss hat die Chance auf eine umfangreiche Jugendstil-Schenkung im Wert von 35 Millionen Euro. Der Haken: Bedingung der Schenkung ist ein Anbau des Clemens-Sels-Museums. Der schlägt mit geplanten 20 Millionen Euro und Folgekosten von 1,43 Millionen Euro zu Buche und lässt das ein oder andere Ratsmitglied doch zweifeln.

Eine, die das Unterfangen kritisch betrachtet, ist Constanze Kriete. Als wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion hat sie die Finanzen im Blick.

Auf der anderen Seite gibt es etliche Fürsprecher wie Martin Flecken. Die Sammlung würde bundesweit für Aufmerksamkeit sorgen. Es dürfte am Freitag spannend werden: Die Fraktionszwänge wurden größtenteils aufgehoben. Lesen Sie, was die beiden Ratsmitglieder über diese Schenkung denken.

Constanze Kriete: Kein Anbau mit meiner Stimme

Foto: SPD


Eine Stadt funktioniert wie eine Familie: verschiedene Personen leben zusammen, man hat ein Einkommen mit dem alle zurecht kommen müssen und man versucht möglichst viele Interessen zu fördern. Zuerst muss aber die Miete gezahlt sein, alle was zu essen und zum anziehen haben und das Auto getankt sein. Wenn dann noch Geld übrig ist, kann man Urlaub buchen oder sich einen neuen Fernseher kaufen.
Unsere Stadt hat dieses Jahr 20 Millionen Euro mehr ausgegeben als sie eingenommen hat. Wir können das ausgleichen durch Rücklagen, aber jeder weiß, dass man das nicht ewig machen kann: wir müssen sparen oder mehr einnehmen.
In dieser Situation erreicht uns nun die Nachricht der Schenkung mehrerer Jugendstilkunstwerke. An diese Kunstwerke ist die Bedingung geknüpft, sie ordentlich auszustellen, was im Clemens Sels Museum nicht möglich ist. Deswegen soll ein neuer Bau her, der Kulturausschuss empfiehlt die Variante C, Kostenpunkt 20 Millionen Euro. Uns als Stadt kostet das jährlich 1,4 Millionen Euro. Natürlich ist das ein Glücksfall für die Stadt und eine große Ehre, solch ein Geschenk angeboten zu bekommen. Doch können wir uns das leisten? Ist unsere Familie Stadt satt und haben alle was anzuziehen? In unserer Stadt gibt es tolle Kulturangebote für viele verschiedene Interessen, wir leisten uns Theater, Museen und Ausstellungen. Neuss ist auch ohne die Jugendstilsammlung nicht kulturlos. Wir haben die 1,4 Millionen Euro nicht übrig, wir haben noch Aufgaben zu erfüllen um unsere Familie Stadt zu versorgen. Ich würde sehr gerne das Geld übrig haben und freudig mit "ja" stimmen, wenn am Freitag über die Annahme der Schenkung abgestimmt wird. Doch nach den Haushaltsberatungen steht für mich fest: wir können es uns nicht leisten.
So lange noch eine Familie Geld für einen Inklusionshelfer, einen Kindergartenplatz oder die Betreuung im offenen Ganztag zahlt, so lange wir nicht jedem eine bezahlbare Wohnung anbieten können der sie möchte, so lange nicht jedes Spielgerät auf einem Spielplatz funktioniert, so lange nicht jeder Park aufgeräumt und sauber ist, so lange nicht jede bestehende Sportanlage der Stadt in einwandfreiem Zustand ist, so lange wird mit meiner Stimme kein Museum gebaut.

Martin Flecken: Chance jetzt wahrnehmen

Foto: Violetta Buciak


Ja, ich bin für die Annahme der Kunstschenkung und auch für die dafür erforderliche Erweiterung des Clemens-Sels-Museums! Natürlich sind skeptisch-kritische Nachfragen, die mir auch mancher Fraktionskollege stellt, berechtigt. Es gilt abzuwägen. Und da zählt: die Sammlung des Symbolismus und Jugendstils, die uns angeboten ist, ist einzigartig. Nicht (nur), weil sie einen Wert von über 35 Millionen Euro hat, sondern weil sie nirgends so gut untergebracht wäre wie gerade in unserem Museum. Denn unser Museum hatte immer schon einen Schwerpunkt im Symbolismus. Die hier vorhandenen Werke zum Beispiel von Moreau erfahren eine ideale Ergänzung. Das Clemens-Sels-Museum würde mit der Sammlung eine weit überregionale, ja europaweite Bedeutung erlangen. Und die Erweiterung des Baus hätte den großen Charme, dass die Stadtgeschichte wieder größere Bedeutung in der Präsentation gewinnen würde; sehr wichtig in einer Stadt mit über 2000-jähriger Geschichte! Kultur und Bildung kosten Geld. Das ist so. Gerade die heutigen Highlights unserer kulturellen Angebote fanden oft nur knappe Mehrheiten: Globe, Alte Post, Umbau des Horten-Hauses für das Landestheater; oft diskutiert waren auch Kammerakademie und Tanzwochen, wie übrigens ähnlich manche Investition in den Sport, die nur zögerlich Mehrheiten fand. Heute will all das kaum mehr einer missen und wissen. Neuss bewährt sich da, wo es zwischen benachbarten größeren Städten Chancen hat: exzellente Nischenpolitik, obwohl der Anteil des Kulturetats mit deutlich unter 3,5 % am Neusser Haushalt weitaus niedriger ist als in vergleichbaren Städten! Weiche Standortfaktoren wie Kultur und Sport sind gefragt. Da bietet Neuss vieles; nicht von ungefähr wächst hier die Einwohnerzahl, während sie andernorts schrumpft. Die jetzige Chance auf Annahme dieser außergewöhnlichen Kunstschenkung ist einmalig. Seien wir auch in Zeiten schwerer und wichtiger anderer Aufgaben (wie der Sorge und Hilfe für Flüchtlinge) mutig und konsequent: nehmen wir die Chance wahr und die Schenkung an!

(Kurier-Verlag)