Gericht kippt verkaufsoffene Sonntage Neuss setzt auf „lange“ Samstage, Kaarst plant Late-Night-Shopping
Neuss/Kaarst · Die Gewerkschaft ver.di bleibt ihrer Linie treu und lässt die geplanten verkaufsoffenen Sonntage kippen: Nach ihrem Eilantrag hat das Oberverwaltungsgericht Münster die landesweiten Ladenöffnungen an den Adventssonntagen und am ersten Sonntag 2021 für rechtswidrig erklärt. Die Städte Neuss und Kaarst trifft das nicht unerwartet.
Für die Stadt Neuss kam dies nicht gerade überraschend: Bürgermeister Reiner Breuer hatte bereits im Oktober vergeblich vor Gericht um die Möglichkeit der Ladenöffnungen an einem Sonntag gekämpft. Jetzt setzt die Stadt an zwei Samstagen – 12. und 19. Dezember – auf verlängerte Öffnungszeiten bis 20 Uhr.
Auch die Stadt Kaarst hat offenbar insgeheim mit dem Verbot der verkaufsoffenen Sonntage am 13. Dezember in Kaarst und am 6. Dezember in Büttgen – gerechnet und sich entsprechend mit einem Plan B vorbereitet: Die ISG Kaarst-Mitte und die Werbegemeinschaft Rathaus-Arkaden laden zum Late-Night-Shopping in der Kaarster Mitte ein: Am Freitag, 11. Dezember, öffnen die Geschäfte bis 22 Uhr. An mehreren Standorten in der Kaarster Innenstadt sollen Straßenmusiker weihnachtliche Stimmung verbreiten. Auch soll die City mit Unterstützung der Stadtwerke Kaarst im festlichen Lichterglanz erstrahlen.
Mit Bedauern hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster zur Kenntnis genommen. „Das ist keine gute Nachricht für die Einzelhändler“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz. „Sicherlich hätte ein verkaufsoffener Sonntag mehr Menschen in der Weihnachtszeit in die Innenstädte gezogen.“ Dies sei vor allem vor dem Hintergrund einer Blitzumfrage aus der vergangenen Woche wichtig gewesen. „Die Umfrage hat uns gezeigt, dass sich die Lage des Einzelhandels in den vergangenen Wochen noch einmal deutlich verschlechtert hat“, sagt Steinmetz.
Nur 19 Prozent aller Einzelhändler, die sich an der Umfrage beteiligt haben, melden eine gute Lage, 58 Prozent eine schlechte. 30 Prozent aller Einzelhändler melden akute Liquiditätsengpässe, 9 Prozent aller Einzelhändler sogar eine deutliche Insolvenzgefahr. „Diese Situation hat auch mit der Schließung der Gastronomie zu tun, durch die die Frequenz in den Innenstädten im November deutlich eingebrochen ist. Beunruhigend ist, dass die Verlängerung des Lockdowns für die Gastronomie die Situation in den Innenstädten noch verschärfen wird.“ Dabei würden amtliche Daten darauf hinweisen, dass eine allgemeine Kaufzurückhaltung nicht der Grund für die Probleme in den Innenstädten sei, betont Steinmetz: „Es wird gekauft – aber vor allem im Online-Handel, in Einrichtungshäusern und in Baumärkten. Ein verkaufsoffener Sonntag hätte dazu beitragen können, dass die Menschen entspannt die Innenstädte besuchen.“
Deutliche Kritik übt auch Michael Radau, Präsident des Handelsverbandes Nordrhein-Westfalen: „Wir sind maßlos enttäuscht und fassungslos. Was möchte Ver.di aus ideologischen Gründen noch alles unternehmen, um die Existenzgrundlage ihrer Mitglieder zu zerstören? Radau glaubt, dass gerade ängstlichen Kunden, die auf das Wochenende zum Einkaufen angewiesen seien, die zusätzliche Sonntagsöffnung die Möglichkeit gegeben hätten, dem hohen zu erwartenden Besucheraufkommen an den Adventssamstagen zu entgehen.
Diese Entzerrung hätte seines Erachtens auch dem Schutz der Beschäftigten gedient. Verkaufsoffene Sonntage im Advent hätten damit gleich in mehrfacher Weise den arg gebeutelten Handel gestützt. „Ich frage mich, ob das OVG wirklich den Ernst der Lage erkennt, ganze Innenstädte drohen wegzubrechen. Dieses Urteil unterstreicht einmal mehr, dass wir auf allen Ebenen gesetzgeberisch tätig werden müssen, um das Thema einer gelegentlichen Sonntagsöffnung im Einzelhandel rechtssicher zu gestalten“, richtet Radau den Blick in die Zukunft.
Das Oberverwaltungsgericht begründet das Urteil unter anderem damit, dass die in der Coronaschutzverordnung landesweit zugelassenen Sonntagsöffnungen voraussichtlich keine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel seien, auf die das Land sie gestützt habe. Das für sich genommen legitime Ziel des Verordnungsgebers, das Einkaufsgeschehen an den vier Adventssamstagen und am ersten Samstag im neuen Jahr zu entzerren, rechtfertige jedenfalls keine landesweite Sonntagsöffnung des Einzelhandels.
Dass an diesen Samstagen landesweit oder jedenfalls in der überwiegenden Zahl der nordrhein-westfälischen Innenstädte mit einem so großen Kundenandrang zu rechnen sei, dass aus infektionsschutzrechtlicher Sicht eine Entzerrung erforderlich wäre, habe der Verordnungsgeber selbst nicht geltend gemacht und sei auch sonst nicht ersichtlich. Im Gegenteil spreche alles dafür, dass in vielen, insbesondere ländlichen Gegenden und vor allem in kleineren Städten der Kundenandrang auch an den Adventssamstagen überschaubar bleiben werde. Angesichts dessen könne offen bleiben, inwieweit die Lage in den größeren Städten möglicherweise eine andere sei. Selbst wenn man jedoch für diese einen verstärkten Kundenzustrom unterstelle, bestünden erhebliche Zweifel an der Eignung der Sonntagsöffnung, das Infektionsrisiko einzudämmen. rore