Wie der Bürgermeister auf Kritik der Gewerbetreibenden und Vermieter reagiert Zoff um Pläne für Sebastianusstraße

Neuss · Optiker Michael Ritters nennt sie die „Hauptschlagader für den schnellen Einkauf“ – und der solle jetzt mit dem voraussichtlich am 1. Juli startenden Verkehrsversuch der Saft abgedreht werden, befürchten dort ansässige Geschäftsleute, Immobilienbesitzer und Hausverwalter.

Sie üben harte Kritik an den Plänen für den Verkehrsversuch Sebastianusstraße (von links): Hans-Josef Lenzen (Funk-Taxi Zentrale Neuss), Stefan Lenze (Leihhaus Winter), Sebastian Förster (Schwatte Päd), Bianka Wenzel (Friseure Neuss), Lutz Zimmer (ZMK Kommunikation & Sicherheitstechnik) und Michael Ritters (Optik Ritters).

Foto: Kurier Verlag/Rolf Retzlaff

Bürgermeister Reiner Breuer verteidigt die Pläne der Stadtverwaltung.

Das Stimmungsbild auf der Sebastianusstraße ist eindeutig, die Forderung klar: Nach Ansicht von Vertretern der oben genannten Personengruppen soll der Verkehrsversuch verschoben werden, um so weitere Gespräche zu führen und geeignetere Lösungen als die Umwidmung der Sebastianusstraße zur Fahrradstraße zu finden. „Die Stadtverwaltung soll erst einmal ihre Hausaufgaben machen“, verweist Ritters auf Probleme mit Wohnungslosen und „Schnapsleichen“. Auch die anderen Geschäftsleute zeichnen ein trauriges Stadtbild mit Betrunkenen, die in Blumenkästen urinieren oder in Hausdurchgängen ihre Notdurft verrichten. Antje Linnerz (Immobilien Linnerz), Verwalterin und Gewerbevermieterin auf der Sebastianusstraße, berichtet von „extremen Problemen mit Verunreinigungen jeder Art“. Die oben genannte Gruppe befürchtet, dass die geplanten Sitzgelegenheiten auf den bisherigen Parkplätzen zu nächtlichen Gelagen missbraucht würden. Doch der Haupt-Kritikpunkt ist das Abschneiden des Autoverkehrs: „Es werden viele Besucher der Innenstadt zu dieser Straße gefahren, steigen aus dem Pkw aus, um anschließend ihre Erledigungen in der Innenstadt durchzuführen“, erklärt Ritters. Stefan Lenze (Leihhaus Winter) berichtet von Kunden, „die auch schwere Sachen wie einen Fernseher zu uns bringen. Wo sollen die denn künftig parken?“ Auch den Optiker besuchten oft geh- oder sehbehinderte Menschen, denen ein langer Weg zum Geschäft nicht zuzumuten sei, erklärt Ritters. Gerd Wienen und Daniela Vell-Wienen berichten als langjährige Eigentümer von Gewerbe- und Wohnungsimmobilien auf der Sebastianusstraße in einem Brief an Bürgermeister Reiner Breuer von der Angst der Geschäftsleute „vor einem enormen Umsatzrückgang“. Wienen weiß: „So wird unsere langjährige Kleinarbeit, vernünftige Mieter für die Sebastianusstraße zu finden und so die Stadt zu bereichern, zunichte gemacht.“ Und auch die Wohnungsmieter würden „durch den Lärm und die Unruhe, verursacht durch die geplante Erweiterung der Außengastronomie, leiden, so dass auch hier Mieter abwandern werden“. Wienen und Vell-Wienen haben von sich aus die Mieten der Gewerbemieter gesenkt – ein Zeichen der Solidarität in Zeiten von Corona. Und jetzt wolle die Stadt den sowieso schon stark belasteten Gewerbetreibenden den Verkehrsversuch zumuten – für die oben genannte Gruppe nicht akzeptabel.

Ein weiterer Kritikpunkt: Die Informationen durch die Verwaltung seien erst sehr spät gekommen – in der vergangenen Woche mittels einer Videokonferenz. Wienen und Vell-Wienen hätten vom Verkehrsversuch erst aus der Presse erfahren, betonen sie verärgert.

Bürgermeister Reiner Breuer kann diese Kritik nicht nachvollziehen: „Wir machen ja gerade deshalb einen Verkehrsversuch und haben noch keinen Ratsbeschluss gefasst.“ Er nehme die Kritik ernst: „Es gibt berechtigte Interessen, aber Einzelinteressen sind nicht im Sinne des Allgemeinwohls.“ Er verweist auf die Mobilitätswende, sieht hier eine Chance für die Sebastianusstraße. „Es ist ungewöhnlich und neu, bei der Erreichbarkeit der Innenstadt nicht den individuellen Autoverkehr zu bevorzugen, sondern Radverkehr und Fußgängern Vorrang zu geben“, zeigt er Verständnis für die Kritik und macht deutlich, dass man nach dem Verkehrsversuch noch Nachbesserungen vornehmen könne.

Als positives Beispiel für die Entwicklung eines autoarmen Raums nennt Breuer den Neusser Markt. Genau den führt Michael Ritters als mahnendes Beispiel an: „Auf dem Marktplatz hat sich die Gastronomie entwickelt. Der Einzelhandel ist dagegen fast verschwunden. Zudem hat eine Verlagerung von Gaststätten stattgefunden.“

Natalie Goldkamp (CDU), Stadtverordnete für die Innenstadt, hält eine Verschiebung des Verkehrsversuchs für notwendig: „Wir sollten erst abwarten, wie sich die Corona-Pandemie weiter entwicklt, und dann überlegen, wie es weiter gehen kann. Die Geschäftsleute sollten nicht zu Versuchskaninchen gemacht werden.“ Man müsse „gemeinsam eine Lösung entwickeln, die von allen getragen wird“. Deshalb will die CDU im nächsten Bezirksausschuss Innenstadt am 10. Juni einen Antrag einbringen, die Planungen noch einmal zu überdenken und die Ideen der Bürger zu berücksichtigen. Rolf Retzlaff