Ein noch junger Verein geht gegen das Vergessen vor Unter den Straßen von Neuss und Kaarst: Vergessene Luftschutzanlagen

Neuss/Kaarst · Unter den Straßen von Neuss und Kaarst schlummern etliche, in Vergessenheit geratene Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg. Einen davon besuchten jetzt Stefan Crefeld (CDU), Stadtverordneter von Uedesheim, Vertreter des noch jungen Vereins Luftschutzanlagen Rhein-Kreis Neuss und der Stadt-Kurier. Ein Appell gegen das Vergessen.

Von links: Stadtverordneter Stefan Crefeld (CDU) stieg gemeinsam mit Stefan Rosellen und Jörn Esposito in eine Luftschutzanlage in Uedesheim hinab.

Foto: Kurier-Verlag GmbH/Hanna Loll

Stefan Crefeld hält den Eingang des Bunkers an der Kreuzung Bonner Straße / Rheinfährstraße schon lange für eine „schlechte Visitenkarte“ des Stadtteils Uedesheim – unkrautüberwuchert, voller Graffiti und vernachlässigt. Das wollte er ändern und stellte einen Antrag an die Stadt – die ist jedoch gar nicht Besitzerin des Bunkers. „Es ist schwer, an Informationen über die Bunker heranzukommen. Niemand scheint sich verantwortlich zu fühlen“, erzählt Crefeld.

Da meldete sich der im Januar 2019 eingetragene Verein Luftschutzanlagen Rhein-Kreis Neuss bei dem Christdemokraten. Der Vorstandsvorsitzende Jörn Esposito und sein Stellvertreter Stefan Rosellen haben herausgefunden, dass der Bunker auf dem Grundstück einer ansässigen Firma steht. Die wusste nichts von ihrem Glück und erlaubte den beiden, die Anlage unter die Lupe zu nehmen.

Drei Meter unter der Erde erstreckt sich die Anlage, aufgeteilt in zwei Räume samt Gasschleuse, Wasseranschluss und elektrischem Licht. Die elektrischen Leitungen scheinen schon damals vorhanden gewesen zu sein, wurden aber neu verlegt. Am anderen Ende der Anlage ist ein Notausgang zu finden. Die Luftschutzanlage bot Platz für etwa 50 Personen.

„Pro Person wurde damals ein halber Quadratmeter berechnet“, verrät Rosellen und erklärt auch, dass damals etwa alle 500 Meter ein Luftschutzbunker vorgeschrieben war – auch in Uedesheim befinden sich also noch weitere Bunkeranlagen, einer unter dem Spielplatz an der Macherscheider Straße.

Unscheinbar, überwuchert und vollgesprüht macht die Anlage „von oben“ keinen guten Eindruck.

Foto: Kurier-Verlag GmbH/Hanna Loll

„Dieser Bau ist nicht ganz typisch für die sonstigen Anlagen, die wir bisher im Kreis gesehen haben“, verrät Rosellen. Die Decke sei beispielsweise nicht kuppelförmig, wie sie es in Dormagen, Grevenbroich und auch Neuss häufig sehen.

„Als wir die Tür das erste Mal öffneten, fanden wir unten einen laminierten Zettel mit einer Telefonnummer für den Notfall – es stellte sich heraus, dass das Technische Hilfswerk sich bis Anfang der 2000er um die Neusser Luftschutzanlagen kümmerte“, weiß Esposito. Seitdem sei allerdings vermutlich keiner mehr dort gewesen.

Eine Skizze des Bunkers in Uedesheim.

Foto: Kurier-Verlag GmbH/Luftschutzanlagen Rhein-Kreis Neuss e.V.

Stefan Crefeld zeigte sich begeistert darüber, was in seinem Stadtteil so schlummert. Gemeinsam mit dem Verein, der Stadt Neuss und der Firma, der das Grundstück gehört, möchte er jetzt über die Zukunft und Gestaltung der Anlage ins Gespräch kommen.

Der Verein hat kreisweit bereits Kenntnis von 190 Luftschutzanlagen. „Wir gehen davon aus, dass es insgesamt etwa 500 sind“, erzählt Rosellen. Die Nationalsozialisten hätten bereits kurz nach der Machtergreifung den Luftschutz, welcher seit Anfang der 20er Jahre existierte, enorm gefördert und mit Einführung der ersten Luftschutzgesetze im Juni 1935 sei die Bevölkerung zur Mitarbeit im Luftschutz verpflichtet worden. Ab Mai 1937 sei der Einbau von Luftschutzräumen bei Neu- und Erweiterungsbauten vorgeschrieben gewesen.

Der Bunker in Neuss-Uedesheim
10 Bilder

Der Bunker in Uedesheim

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Foto: Kurier-Verlag GmbH/Hanna Loll

Der Verein ist übrigens immer auf der Suche nach Tipps – es geht um die Geschichten hinter den Bunkern. Wer hat dort Zuflucht gesucht, was sonst gibt es zu berichten? „Wir freuen uns immer über Hinweise auf Standorte oder Hintergrundinfos zu Luftschutzanlagen im Kreis“, hofft Esposito auf viel Resonanz.

Die Arbeit des Vereins umfasst neben der Recherche in den Liegenschaftsämtern der Städte, im Internet und in den Archiven auch Gespräche mit Zeitzeugen. Das heutige Kreisgebiet sei aufgrund seiner geografischen Lage häufig überflogen worden. Da niemand vorhersagen konnte, wo genau die Bomben abgeworfen werden sollten, sei die Bevölkerung bei jeder Sichtung eines feindlichen Flugzeuges durch Luftalarm in die Schutzräume getrieben worden.

„So kam es dazu, dass die Menschen teilweise ganze Nächte in den Luftschutzanlagen verbracht haben, da immer wieder Alarm ausgelöst wurde“, weiß Rosellen zu berichten. Eine Zeitzeugin, die damals noch ein Kind gewesen sei, habe die Aufenthalte im Bunker als etwas Positives wahrgenommen. „Sie war sich der Gefahr nicht bewusst, da ihre Eltern sie davon fernhalten wollten. In der Luftschutzanlage hatten ihre Eltern für sie Zeit und sie war mit all ihren Freunden zusammen, darüber hat sie sich gefreut“, berichtet Esposito.

Mit Recherche, Besichtigung und Co. hat der Verein eine Menge zu tun. 22 Mitglieder, Männer und Frauen, arbeiten inzwischen zusammen gegen das Vergessen. Wer dem Team helfen oder weitere Informationen geben möchte, kann sich gern an den Verein wenden. Zu erreichen ist er per Mail an luftschutzanlagen-rhein-kreis-neuss@gmx.de. Mehr Infos gibt es unter www.luftschutzanlagen-rhein-kreis-neuss.de.