Das Aus für kleine Parteien im Stadtrat? +++Was Politiker von der 2,5-Prozent-Sperrklausel halten+++Piraten: „Das ist ein Demokratieabbaugesetz“+++
Kaarst · Der Stadtrat vertritt die Interessen der Bürger, ist die große Gestaltungskraft in Kaarst. Zurzeit besteht er aus zehn Parteien in acht Fraktionen. Eine bunte politische Vielfalt, wie es sie bei der nächsten Kommunalwahl 2020 nicht mehr geben wird?
CDU, SPD und Grüne haben im NRW-Landtag eine 2,5-Prozent-Sperrklausel für Kommunalwahlen beschlossen. Das heißt: Kleine Parteien, die weniger als 2,5 Prozent der gültigen Stimmen erhalten, dürfen nicht mehr in den Rat einziehen. Bisher gab es in NRW keine Sperrklausel.
Bei der Kommunalwahl 2014 hätte dies in Kaarst bedeutet, dass die Piratenpartei (1,4 Prozent) an der Hürde gescheitert wäre. Die Linke legte mit 2,5 Prozent eine Punktlandung hin, die AfD erreichte 2,7 Prozent. UWG (4,8 Prozent) und Zentrumspartei (5,3 Prozent) sind da schon in sicherer Entfernung.
„Durch die Sperrklausel wird keine Kommunalvertretung gestärkt, sondern die Demokratie ein weiteres Mal geschwächt“, sagt Marlus Wetzler, Fraktionsvorsitzender Piratenpartei/Die Linke, „wir sprechen daher vom Demokratieabbaugesetz.“ Viele kleinere Fraktionen und kommunale Einzelmandatsträger hätten klare Schwerpunkte in ihrer Arbeit, die nicht ausreichend von den etablierten Parteien abgedeckt oder überhaupt nicht berücksichtigt würden. „Deshalb haben die Bürger eben andere Menschen und Parteien gewählt. Mit dieser Verfassungsänderung werden die Stimmen all derer, die sich durch kleinere Parteien oder Einzelbewerber vertreten fühlen, in die Mülltonne geworfen“, ärgert sich Wetzler.
Der Kaarster CDU-Chef Lars Christoph begrüßt die Entscheidung des Landtages, eine 2,5-Prozent-Klausel in die Landesverfassung aufzunehmen: „Die Entscheidung trifft eine sachgerechte Abwägung zwischen der Zulassung einer Meinungsvielfalt in den Räten auf der einen Seite und dem Schutz ihrer Arbeitsfähigkeit auf der anderen Seite.“ Für den Kaarster Stadtrat bedeute dieser Schritt, dass sich demnächst die Anzahl der Einzelratsmitglieder wieder reduzieren könnte. „Die – teils rechtlich durchaus fragwürdigen – Fraktionszusammenschlüsse mehrerer Einzelratsmitglieder in den letzten Monaten haben gezeigt, dass eine effektive Arbeit als ,Einzelkämpfer’ offenbar nur schwer möglich ist. Die sich aus den Zusammenschlüssen nun ergebenden Diskussionen in Bezug auf eine mögliche völlige Neubesetzung der Ausschüsse belasten die Arbeitsfähigkeit des Rates enorm“, weiß Christoph.
„Fakt ist, dass die Politikverdrossenheit der Bürger sicher nicht abnimmt, wenn sie das Gefühl haben müssen, dass sie mit ihrer Stimme keine Veränderung herbeiführen können“, erklärt die SPD-Ortsvereinsvorsitzende Anneli Palmen. Daher sei eine moderate Klausel, die eben nicht bei fünf Prozent liege, sicherlich eine Lösung. „Eine lebendige Demokratie braucht Vielfalt und Diskurs nicht zu fürchten – gleichzeitig ist ein Trend hin zu häufigen ,Großen Koalitionen’ sicherlich nicht wünschenswert. Dass ein Bündnis jenseits dieser Option funktionieren kann, sieht man in Kaarst“, verweist Palmen auf die Arbeit des Fünfer-Bündnissses.
Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Christian Gaumitz hält eine geringe Hürde grundsätzlich für sinnvoll. Ein Zersplitterung des Rates steigere die Arbeitsbelastung der ehrenamtlichen Kommunalpolitiker und führe leider oft zu sogenannten „Großen Koalitionen“. Gaumitz: „Da sind wir in Kaarst zum Glück die Ausnahme, weil wir mit dem Fünfer-Bündnis eine andere politische Kultur etabliert und es auch verstanden haben, kleine Fraktionen einzubinden. Bei uns stehen die Inhalte im Vordergrund und nicht das Parteibuch. Als Grüne wollen wir uns weiter dafür einsetzen, dass wir jenseits der Rechtspopulisten auf ein breites gesellschaftliches Bündnis setzen.“
Christian Otte, Stadtverbandsvorsitzender der Zentrumspartei, begrüßt die Einführung einer moderaten Sperrklausel, um eine zu starke Zersplitterung der Stadträte zu vermeiden. Auch spricht er sich dafür aus, dass künftig mindestens drei Ratsmitglieder erforderlich sein müssten, um eine Fraktion zu bilden. Für ihn sind diese Maßnahmen ein wirkungsvolles Instrument, damit „nicht jeder gelegentliche Unmut oder gar parteiinterne Kalamitäten zu einer überstürzten Parteineugründung führen, die dann ein Kollegialorgan wie den Gemeinderat über Gebühr strapaziert.“ Wenn es einer Partei nicht gelinge, in einer Stadt wie Kaarst wenigstens rund 500 Wähler von sich zu überzeugen, müsse sie sich selbstkritisch die Frage stellen, was sie im Stadtrat verloren habe, der schließlich rund 42.000 Bürger vertreten solle.
Rolf Retzlaff