CDU-Fraktionschefin Koenemann: Breuer hat falsche Vorstellung der Ratspolitik

Neuss · Mit einem guten Ergebnis von 80 Prozent wurde Helga Koenemann vergangene Woche erneut zur CDU-Fraktionschefin gewählt. Im Interview spricht sie über die Höhen und Tiefen ihrer Partei, das Verhältnis zu Bürgermeister Breuer und welche Baustelle in Neuss am dringendsten angepackt werden sollte.

Foto: Violetta Buciak

Herzlichen Glückwunsch zur Wiederwahl als Fraktionsvorsitzende. Wie bewerten Sie das Ergebnis der Wahl?
Ich bin zufrieden. Sicher wird es immer welche geben, die einen kritisch sehen oder meinen, man könnte es besser machen. Das ist in meiner Position aber die Regel und mit 80 Prozent habe ich den größten Teil der Mitglieder der Fraktion hinter mir. Außerdem ist das Ergebnis eine klare Verbesserung zu den 66 Prozent, die ich bei meiner ersten Wahl im Oktober 2012 bekommen habe.

Sie haben den Posten in keiner einfachen Situation übernommen. Mit der Landtagswahl im Jahr 2012 und der Bürgermeisterwahl 2015 hat die CDU zwei wichtige Mandate verloren. Wie hat sich die Stimmung in Ihren Reihen verändert?
Ich muss dazu sagen, dass der Verlust des Landtagsmandats 2012 schon unerwartet kam. Wirklich getroffen hat uns aber die Niederlage bei der Bürgermeisterwahl. Das war einfach ein Hammer und es war schwierig für uns, mit dieser neuen Situation umzugehen.

Und dennoch haben Sie es gemeinsam geschafft, sich wieder aufzurappeln.
Richtig, wir haben verstanden, dass die Zeiten in Neuss vorbei waren, dass die CDU sowieso die Wahlen gewinnt. Wir wussten, dass es so nicht weiter gehen konnte. Also haben wir alle Kräfte mobilisiert. Vor der Landtagswahl hatten wir schon ein gutes Gefühl. Einen richtigen Schub aber gab es durch die CDU Gewinne im Saarland und Schleswig-Holstein.

Sie arbeiten seit 2,5 Jahren mit den Grünen in der Koalition — die Halbzeit ist erreicht. Wie ist Ihr Resümee?
Das ist durchweg positiv. Selbstverständlich gibt es immer Situationen, wo der andere eine Faust in der Tasche machen muss, wo man einfach auch zurückstecken muss. Dann ist es wichtig, Kompromisse zu finden. Beispiel Haushalt 2017: Da sind die Grünen weit gesprungen als sie den Grundstücksverkauf Hammfeld möglich machten, dafür haben wir beim Thema Fahrradkonzept mit uns reden lassen. Der Haushalt für das Jahr 2017 konnte nur beschlossen werden, weil wir eben offen diskutieren und aufeinander zugehen.

Ihre Koalition geriet schon einige Male in Kritik. Ihnen wurde Blockade vorgeworfen. Beispiele sind die Abstimmungen zu Whitesell oder zum Gewinnverwendungsbeschluss der Stadtwerke. Was entgegnen Sie dazu?
Der Bürgermeister hat eine falsche Vorstellung der Ratspolitik. Wenn es nach ihm gehen würde, schlägt er etwas vor und alle nicken ab. So läuft das in der Realität aber nicht. Wir machen uns eben auch Gedanken wie wir im Sinne unserer Bürger und Bürgerinnen die richtigen Entscheidungen treffen können. Es gibt genug Beispiele, die zeigen, dass die Blockaden nicht durch uns entstehen. Nehmen wir die Diskussion zu den Gebühren im Offenen Ganztag. Trotz der angeblichen Befangenheit unseres Ratsmitgliedes Thomas Kaumanns und dessen freiwilligen Nichtteilnahme an dieser Abstimmung konnten wir unsere Positionen durchsetzen. Offensichtlich waren die Mitglieder anderer Fraktionen auch unserer Auffassung. Das zeigt doch, dass es keine Blockade sondern keine Mehrheit für die Vorschläge des Bürgermeisters im Rat gibt. Gerade bei knappen Mehrheitsverhältnissen im Stadtrat zählen die Stimmen der FDP, UWG/BIG-Fraktion oder der Linken mehr denn je.

Und die Stimmen der AfD...
Ja, auch die Mitglieder der AfD Fraktion stimmen teilweise für unsere Anträge. Es ist nicht nachvollziehbar, dass uns das zum Vorwurf gemacht wurde. Was erwartet man von mir? Ich kann ihnen doch nicht auf die Finger hauen, wenn sie mit uns stimmen. Genauso haben die AfDler auch schon für SPD-Anträge gestimmt.

Und wie war das nun mit dem Gewinnverwendungsbeschluss der Stadtwerke? Dadurch, dass keine Mehrheit zustande kam, fehlen der Stadtkasse immerhin rund 6 Millionen Euro.
In den Medien las ich etwas von einem schwarz-grünen Chaos. Aber auch das stimmt nicht. Ich kann hier nicht ins Detail gehen, weil wir über eine nicht-öffentliche Angelegenheit sprechen. Nur so viel: Es gab zwei Abstimmungen zu Beträgen, die durch unterschiedliche Konstellationen nicht beschlossen werden konnten.
Wenn überhaupt, muss man also von einem gemeinsamen Chaos unter der Führung des Bürgermeisters sprechen.

Bei unserem letzten Gespräch kündigten Sie an, dass es eine Aussprache mit Bürgermeister Reiner Breuer geben sollte. Inzwischen war er bei Ihrer Fraktion zu Gast. Wie ist das Treffen gelaufen?
Das ist gut gelaufen. Es gab ein offenes und ehrliches Gespräch, für das sich Reiner Breuer etwa eineinhalb Stunden Zeit genommen hatte. Er sagte beispielsweise zu, dass sich die Verwaltung bemühen wird, Beratungsunterlagen rechtzeitig dem Rat zur Verfügung zu stellen. Natürlich kommt man teilweise nicht drum herum, gewisse Anträge kurzfristig in die Ratsunterlagen einzubauen, aber im Grunde genommen müssen wir diese Punkte dann in nächste Sitzungen schieben. Wir brauchen auch Zeit zur Beratung.

Zu einer Aussprache gehört auch immer Selbstkritik. Gibt es Dinge, die Sie in Zukunft ändern wollen?
Ja, wir wollen wieder punktuell Dezernenten zu unseren Fraktionssitzungen einladen und mehr Kontakt zur Verwaltung aufnehmen. Nachdem Reiner Breuer zum Bürgermeister gewählt wurde, gab es in diesem Punkt Differenzen zwischen ihm und unserer Fraktion. Jetzt wollen wir uns aber wieder annähern.

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo man durchaus den Vergleich ziehen kann. Was machte Breuers Vorgänger Herbert Napp als Bürgermeister besser und umgekehrt?
Herbert Napp hatte eine souveräne Art, die Verwaltung zu führen. Er hat Aufgaben an seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen delegiert. Er hat ihnen vertraut und das konnte er auch. Reiner Breuer dagegen zieht immer mehr Aufgaben an sich. Er übt vielmehr eine sehr starke Kontrolle über seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus. Ich glaube, das ist der größte Unterschied zwischen den Beiden.

Apropos Kontrolle. Im jüngsten Hauptausschuss hatte Breuer noch angeregt, dass der Rat Verantwortung abgeben solle, Bezirksausschüsse gestärkt werden könnten. Wie stehen Sie dazu?
Ich halte viel von den Bezirksausschüssen. Die Mitglieder machen dort einen guten Job. Es wird in unserer Fraktion sicher ein großes Diskussionsthema werden, einen weiteren Bezirksausschuss für die Nordstadt zu schaffen. Das war im Übrigen schon länger immer wieder Thema bei uns. Hierbei werden die Kosten sicherlich eine große Rolle spielen. Ich sehe aber nicht, dass sich der Stadtrat — wie von Reiner Breuer vorgeschlagen — verkleinern sollte. Denn man muss sich immer vor Augen halten, dass es sich beim Ratsmandat um ein Ehrenamt handelt und dass es sehr wohl einen Unterschied gäbe, wenn ein Stadtverordneter statt 5.000 plötzlich 10.000 Bürger zu vertreten hätte. Gerade in den kommunalen Strukturen, in denen wir leben, ist es wichtig, dass die Vertreter des Rates nah am Bürger dran bleiben. Und da gibt es in manchen Bezirken schon jetzt sehr viel zu tun.

In Neuss gibt es viele Baustellen. Welche sollte am dringendsten angepackt werden?
Ich denke, dass der Ausbau des Offenen Ganztags von zentraler Bedeutung ist. Man muss sich vor Augen halten, dass Berufstätige, die einen Vollzeitjob haben, mit Anfahrt und Pause minimal zehn Stunden unterwegs sind. Da ist eine Nachmittagsbetreuung essenziell. Und die Zeiten sind vorbei, dass die Großeltern sich um den Nachwuchs kümmern, denn diese sind oft selbst berufstätig. Unsere Strukturen haben sich schlichtweg verändert und nach dem Ausbau der Kitas ist die logische Konsequenz die Erweiterung im OGS-Betrieb.

Top-Thema im vergangenen Jahr waren die Flüchtlinge und damit einhergehend auch die Wohnungsnot. Darüber wird heute weniger gesprochen...
... aber es ist nach wie vor ein großes Thema. Der Bedarf an sozialem Wohnraum ist da. Aber bis ein Gebäude erstmal steht, gibt es eine Regelungswut, die das Unterfangen extrem in die Länge zieht. Da muss das Projekt zunächst ausgeschrieben werden, dann müssen diverse Gutachten gemacht werden und vieles mehr. Aber wir konnten immerhin einige Bauprojekte auf den Weg bringen. Sei es auf dem Alexianer-Gelände bis hin zu Whitesell.

Zurück zu den Flüchtlingen: Ich höre immer wieder, dass bisher kaum welche Arbeit gefunden haben. Klappt das mit der Integration?
Ich denke die Verwaltung geht dieses Thema gut und vernünftig an. Der Druck, den wir noch vor einem Jahr hatten, als wir unvorhersehbare Zuströme erwarteten, ist nicht mehr gegeben. Es wurden inzwischen einige Privatwohnungen für die Menschen zur Verfügung gestellt. Dass die Flüchtlinge nach einem Jahr bereits eine Arbeitsstelle haben, kann man nicht erwarten, schon allein wegen der sprachlichen Barriere. So wie ich unseren Sozialdezernenten Ralf Hörsken einschätze, ist er in dem Bereich gut vernetzt, sodass sich da was im angemessenen Zeitrahmen ergeben wird.

Blicken wir in die Zukunft. Sie haben sich gemeinsam als Team den Landtag zurückgeholt, als nächstes stehen Bundestagswahl, Kommunal- und Bürgermeisterwahlen auf dem Plan. Was sind Ihre konkreten Ziele?
Zunächst einmal werden wir Hermann Gröhe bei der Bundestagswahl nach allen Kräften unterstützen. Zwar sieht es nach Umfragen gut für die CDU aus. Wir leben aber in einer Zeit, in der man sich auf diese Werte nicht verlassen kann. Denken wir an die Wahlen in den USA oder zuletzt in Großbritannien. Was war sich die Frau Theresa May sicher. Ich würde nie annehmen, wir hätten die Wahl schon gewonnen. Dennoch: Wir blicken optimistisch in die Zukunft. Auch im Hinblick auf das Jahr 2020, wenn Kommunal- und Bürgermeisterwahlen anstehen. Ziel ist für uns die absolute Mehrheit und wieder einen CDU Bürgermeister/in zu stellen. Dafür werden wir hart arbeiten und liefern müssen. Wir wollen mit Inhalten überzeugen.

Vor wenigen Tagen hatte ich ein Gespräch mit Dr. Jörg Geerlings. Als ich nach seinen größten Unterstützern fragte, nannte er neben seiner Frau Florence nur Ihren Namen. Welche politische Zukunft prophezeien Sie ihm?
Er hat eine gute Zukunft vor sich. Man muss anerkennen, dass er schwierige Situationen überwunden und gemeistert hat. Nachdem er damals sein Landtagsmandat verloren hatte, waren wir hin und wieder unterschiedlicher Auffassung, konnten diese Differenzen aber bereinigen. Und das ist auch wichtig: Man muss sich offen aussprechen können. Seine neue Aufgabe im Untersuchungsausschuss wird er gut machen. Und dann werden wir weitersehen, wie es sich mit der Fraktion und der Partei bis 2020 entwickelt.

Vielen Dank!

Das Interview führte Violetta Buciak