Ganz Neuss feiert mit: das Schützenfest und seine enorme integrative Kraft
Neuss · Unser Nüsser Schützenfest ist ein Phänomen. Welche Veranstaltung sonst bringt so viele Menschen zusammen, welches Fest weckt diese Emotionen? Nicht zu vergessen die bedeutsame Rolle, die das Schützenwesen in unserer Gesellschaft einnimmt.
Wo sonst wird Integration und Inklusion so gelebt wie hier?
Es ist eine Faszination, die Jahr für Jahr immer mehr Menschen in den Bann zieht. Für Außenstehende mögen es 7.705 Männer sein, die uniformiert über die Straßen marschieren. Der Neusser weiß, dass es um weitaus mehr geht. Denn im Schützenwesen werden Differenzen jeglicher Art überwunden: Servicekraft, Bankkaufmann, Student, Rentner und Geschäftsführer feiern Seite an Seite. Das Zugleben prägt das ganze Jahr. Es geht um Zusammenhalt, um Kameradschaft. Viele Generationenzüge zeigen, dass Alt und Jung sehr wohl zusammenpassen.
Dabei zeigt sich über die Jahre, dass immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund am Fest teilhaben. Richie Ucar ist einer von ihnen. Von seinem ehemaligen Kindheitsfreund Bürgermeister Reiner Breuer wurde er in den Grenadierzug "Wisse Röskes" eingeladen, ist seither Feuer und Flamme für die Neusser Tradition. "Es ist toll zu sehen, wie alle etwas vom Fest haben. Sicher wäre es schön, wenn noch mehr Migranten den Weg in die Züge finden würden. Da beobachte ich aber eine positive Entwicklung", so der Derikumer Streetworker.
Bewegung hat es auch auf ganz anderer Ebene gegeben. Bereits im dritten Jahr werden Rollstuhlfahrer zur Parade und zu den Umzügen zugelassen. Das kommt beim Publikum gut an und sorgt regelmäßig für spontanen Applaus. Auch die Stadt Neuss hat reagiert und sorgt für behindertengerechte Sanitäranlagen auf dem gesamten Festgelände.
Welche Barrieren noch überwunden werden, beweist ganz aktuell die Schützengilde. Der Zug "Vun allem jet" hat vor fünf Wochen den vollblinden Sascha Erz in seine Reihen aufgenommen. Am Schützenfestsamstag und -sonntag wird er mit seinen Kameraden über den Marktplatz marschieren.
Es war zunächst gar nicht so leicht, Anschluss zu finden. Weil Erz seine Schul- und Ausbildungszeit in anderen Städten zubrachte, hat der Neusser kaum Freunde in der Quirinusstadt. Dabei kommt er aus einer traditionellen Schützenfamilie. Ein Urururgroßvater war Hahnenkönig in Neuss, der Opa war lange Zeit Oberleutnant bei den Jägern.
Vor zwei Jahren durfte der blinde Erz dann als Gast bei den Grenadieren marschieren, fand dort aber keinen Platz in dem voll besetzten Zug. Durch einen guten Kontakt zu Gildemajor Stefan Schomburg konnte sich der Traum dann doch noch erfüllen. Inzwischen hat der Neu-Schütze den Oberstehrenabend mitgemacht und war bei einer Hochzeit eines Zugkameraden dabei. Der Leutnant hat geheiratet und die Schützen haben in Uniform Spalier gestanden, natürlich mit Erz. "Ich bin unendlich dankbar, dass ihm das ermöglicht wurde", freut sich Mutter Erika Erz.
Das Schützenfest schafft etwas, das im Alltag oft fehlt. Es bringt Menschen aller Altersklassen und Herkünfte zusammen, es verbreitet Glück, es schafft Emotionen und Erinnerungen. Das muss gefeiert werden!