Weil sie volljährig ist: Neusser Syrer darf Schwester nicht nach Deutschland holen

Neuss · Wenn er über seine Familie spricht, zittern ihm die Hände — Tränen schießen sofort in seine Augen. Der Syrer Bshat Y. lebt seit rund zwei Jahren in Neuss. Per Gesetz darf er Eltern und minderjährige Geschwister nachholen.

Vor diesen schrecklichen Zuständen flohen Bshat und sein Bruder Mohammed.

Nur die 22-jährige Schwester Shereen bekommt keine Genehmigung, soll allein im Krieg zurückbleiben.

"Als alleinstehende Frau hat sie dort keine Chance. Sobald herauskäme, dass sie keine männliche Begleitung hat, wäre sie in großer Gefahr", betont Karim Hennen. Der Dolmetscher begleitet den Syrer seit er in Neuss lebt, hilft ihm über die Hürden des Alltags. Der 27-jährige Bshat lebt inzwischen mit seinem 16-jährigen Bruder Mohammed in einer Neusser 50-Quadratmeter-Wohnung, arbeitet in einem Restaurant als Küchenhilfe.

Schwester Shereen sowie Frau und zweijährige Tochter (unten) sind noch immer nicht sicher. Aus Angst sollen ihre Gesichter nicht gezeigt werden.

Gemeinsam waren er und der 16-Jährige vor zwei Jahren in ihrem Heimatland Syrien dazu gezwungen worden, zu kämpfen. "Man drückte ihnen Kalaschnikows in die Hand und zwang sie zu schießen", so der Dolmetscher. Nur weil die Brüder in vorderster Front waren, hatten sie eine Chance zu fliehen und nutzten die Gelegenheit. Fünf weitere Personen liefen mit, vier wurden erschossen. Die Liebsten, das alte Leben, Besitztümer — all das mussten sie zurücklassen. Familie Y. besaß vor dem Krieg mehrere Bekleidungsgeschäfte und Häuser, jetzt sind viele Familienmitglieder tot, verschollen oder leben in Flüchtlingscamps in Libanon.

Bshat Y. ist froh über die Unterstützung von Roland Sperling (rechts) und Karim Hennen (links).

Bshat bangt jede Sekunde um das Leben seiner verbliebenen Angehörigen. Durch den minderjährigen Bruder, der es mit ihm nach Neuss geschafft hat, haben zumindest Eltern und die minderjährigen Geschwister ein Visum erhalten, doch ohne die 22-jährige Schwester und Tochter Shereen wollen sie nicht kommen. Hilfesuchend wandten sich die Brüder an Rechtsanwalt und Linken-Chef Roland Sperling. "Ich habe sofort erkannt, dass es sich hier um einen Ausnahmefall handelt und meine Kontakte zum Neusser Ausländeramt genutzt. Dort war man von der ersten Sekunde an kooperativ", so der Ratsherr. Das Amt hat ausnahmsweise aus humanitären Gründen dem Zuzug der ansonsten allein zurückbleibenden Schwester zugestimmt — und das, obwohl inzwischen auch viele Neusser öffentlich gegen den Zuzug von Flüchtlingen protestieren. Die Entscheidung liegt nun bei der Deutschen Botschaft in Beirut. Jetzt hoffen alle Beteiligten auf ein schnelles und positives Ergebnis, denn die Zeit drängt: Das Visum der Eltern und minderjährigen Geschwister läuft am 20. August aus.

(Kurier-Verlag)