Was auf die Betroffenen zukommt+++Wie der „Neusser Appell“ helfen soll Experten warnen: Neues Gröhe-Gesetz soll Schwerstbehinderte benachteiligen

Neuss · Führungspersönlichkeiten der bundesweiten katholischen Behindertenhilfe schlagen Alarm: Ein neues Gesetz soll schwerbehinderte Menschen hart treffen. Mit dem "Neusser Appell" fordern Experten den Neusser Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe dazu auf, den Entwurf zu überdenken.

Das neue Gesetz bereitet Schwerstbehinderten Bauchschmerzen.

Foto: Uta Herbert / pixelio.de

Im schlimmsten Fall würden Betroffene 266 statt vorher 1.600 Euro bekommen. Tausende Schwerst- und Mehrfachbehinderte sorgen sich

Denn der aktuelle Entwurf des Bundesteilhabe- und Pflegestärkungsgesetzes würde laut Fachleuten besonders diese Gruppe benachteiligen. Der Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychatrie (CPB) hat jetzt den "Neusser Appell" auf den Weg gebracht, um den Entwurf abzuwenden.

"Wenn das Gesetz so verabschiedet wird, könnten zukünftige Klienten für das Wohnangebot ,Ambulante Intensivbetrueung' der St. Augustinus-Behindertenhilfe ihren Anspruch auf Leistungen in der Pflegeversicherung verlieren", warnt Johannes Magin, Vorsitzender der CBP. Hermann Gröhe hat auf Nachfrage des Stadt-Kuriers die Bereitschaft gezeigt, das Gesetz zu überarbeiten: "Wir nehmen diese Befürchtungen sehr ernst und werden sicher auch noch zu Veränderungen am Gesetzestext kommen", so der Bundesgesundheitsminister. Dennoch hält er grundsätzlich an dem Entwurf fest.

Gröhe sieht das von Andrea Nahles vorgelegte Bundesteilhabegesetz als eine "gute Chance, die Teilhabe von Behinderten in unserer Gesellschaft deutlich zu verbessern". Der Bundesfachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CPB) läuft dagegen Sturm.
Diese Punkte werden von Experten im "Neusser Appell" unter anderem kritisiert.

1. Der Gesetzentwurf bestimmt, dass Menschen mit Behinderung in fünf von neun Lebensbereichen auf Hilfe angewiesen sein müssen, wenn sie Unterstützungsleistungen bekommen sollen. Diese Hürde ist viel zu hoch.
Hermann Gröhe: "Das im Gesetzentwurf vorgesehene Verfahren zur Feststellung des Grades der Behinderung folgt Definitionen der Weltgesundheitsorganisation. Klar ist aber: Auch bei einer leichteren Behinderung muss es eine angemessene Unterstützung geben. Deshalb nehmen wir die vorgetragenen Befürchtungen sehr ernst, haben nach der Verbändeanhörung und im Rahmen der Ressortabstimmung im Kabinettsbeschluss klargestellt, dass die bisherige Praxis der Leistungsgewährung auch zukünftig zu berücksichtigen ist."
2. Pflegebedürftige Menschen mit Behinderung brauchen auch in Zukunft Teilhabe und Pflege nebeneinander.
Hermann Gröhe: "Klar ist: Wir brauchen eindeutige Zuständigkeiten der verschiedenen Kostenträger. Und wenn es doch einmal Unklarheit gibt, müssen die Kostenträger das Problem untereinander regeln. Das darf nicht zu Lasten der Betroffenen gehen."
3. Was heute in Wohnstätten für behinderte Menschen als Leistung aus einer Hand funktioniert, muss auch mit dem BTHG noch funktionieren. Wenn Menschen mit Behinderung beim Wohnen zukünftig unterschiedliche Leistungen zusammentragen müssen, darf ihr bisheriges Zuhause nicht gefährdet werden. Auch muss sichergestellt werden, dass Menschen, die gemeinschaftlich in Einrichtungen leben, weiterhin einen Geldbetrag zur freien Verfügung haben.
Hermann Gröhe: "Durch die Neuregelung wird niemand durch Leistungsverschlechterungen gezwungen, die selbst gewählte Wohnform aufzugeben, solange dort eine angemessene Pflege sichergestellt werden kann. Und auch in Zukunft sollen Menschen mit Behinderungen darin gestärkt werden, ihre Wohnform selbstbestimmt wählen zu können. Wenn Zuständigkeitsregelungen jetzt angepasst werden, geht es uns darum, ,Verschiebebahnhöfe' zwischen den Kostenträgern zu vermeiden, von denen die Betroffenen nichts haben. Aber auch hier prüfen wir weiteren Klarstellungsbedarf."

(Kurier-Verlag)