Jetzt kracht`s ZIN und Neuss Marketing contra Gewerkschaft
Neuss · Für die einen ist es ein „Offener Brief“, für den anderen ein „Wutbrief“: Christoph Napp-Saarbourg, Vorsitzender der Zukunftsinitiative Neuss (ZIN), und Jürgen Sturm, Geschäftsführer der Neusser Marketing GmbH, hatten mit einem gemeinsamen Schreiben auf die im Stadt-Kurier veröffentlichte Forderung des DGB-Kreisverbands-Vorsitzenden Udo Fischer nach „einem schlüssigen Konzept mit neuen Ideen für den Neusser Einzelhandel“ reagiert – mit teilweise deutlichen Worten. Zudem kritisieren sie das Aus für die verkaufsoffenen Sonntage. Fischer nimmt dazu ebenfalls eindeutig Stellung.
„So wurde dem Online-Handel in die Karten gespielt“
Napp-Saarbourg und Sturm kritisieren das kurzfristige Aus für den mit einem Schaufenster-Theater des Rheinischen Landestheaters gekoppelten verkaufsoffenen Sonntags (wir berichteten): „Den Veranstaltern, ZIN und Neuss Marketing, sind dadurch erhebliche Kosten entstanden.“ Auch habe man dem Landestheater „eine gern ausgeschöpfte Möglichkeit genommen, das für die kommende Session angesetzte Programm der breiten Bevölkerung auf ungewöhnliche Art und Weise näher zu bringen... Stattdessen spielte man den in diesen Tagen werblich im Rheinland sehr aktiven Centren auf niederländischer Seite in die Karten. Die dadurch motivierten Abwanderungen in den Online-Handel und ins Internet kann man nur mit Sorge betrachten“.
Fischer Forderung nach einem schlüssigen Konzept sei „sehr befremdlich“. Über viele Jahre engagiere sich die Werbegemeinschaft ZIN gemeinsam mit Neuss Marketing für eine attraktive Innenstadt – größtenteils ehrenamtlich und mit viel Herzblut. Eine ansprechende Stadtgestaltung, gebündelte Werbeaktionen, Verbesserung der Sauberkeit und vieles mehr seien auf den Weg gebracht und bis heute erfolgreich begleitet worden. „Selbst in Corona-Zeiten setzen wir das um, was möglich ist. Die Gesamtentwicklung im Einzelhandel, mit einer sich stetig und nachhaltig verändernden Konsumentwicklung haben wir konsequent im Blick.“ Und die beiden fragen Fischer: „Doch welchen Beitrag leisten Sie, leisten die Gewerkschaften für den Weg vom Obertor zum Hauptbahnhof, vom Hafenbecken zum Hessentor und darüber hinaus?“
Sie kritisieren die „pauschale, unkonkrete Forderung nach einem wie immer gearteten Konzept. Wäre es nicht wesentlich hilfreicher, die gemeinsam mit dem „Runden Tisch 2010“ abgesprochenen verkaufsoffenen Sonntage zu unterstützen?“ Verdi habe sich hier in eine Sackgasse bewegt. „Jahrelang gab es in Neuss einen wohltuend konstruktiven Kompromiss, dass vier verkaufsoffene Sonntag durchgeführt werden dürfen. Wir haben uns an diese gemeinschaftlich zugesagte Vereinbarung immer gehalten. Als landespolitisch weiter Sonntage in den Fokus gerückt wurden, haben wir diese Ansätze nicht weiter verfolgt. Wir stehen zu unserem Wort.“
Und weiter: „Wir sind uns bewusst, dass es auf Landebene immer noch nicht gelungen ist, einen klaren rechtlichen Rahmen zu schaffen. Von daher sehen wir mit großer Besorgnis in die Zukunft. Es muss in einer Stadt Neuss möglich sein, dass alle engagierten Akteure in einer so wichtigen Frage wie dem verkaufsoffenen Sonntag an einem Strang ziehen.“ Was könnten neue Komzepte bringen, wenn erfolgreiche bestehende nicht umgesetzt werden dürften? Napp-Saarbourg und Sturm sind sich einig: „Wir fordern Sie daher auf, Ihre Haltung zu überdenken und unsere Bemühungen für einen von allen Institutionen getragenen Sonntag am ersten Advent-Wochenende zu unterstützen.“
„Verluste lassen sich nicht in vier Stunden ausgleichen“
Udo Fischer, Vorsitzender des DGB-Kreisverbandes, macht deutlich: „Die Aufgabe einer Gewerkschaft ist es, sich um die Belange der Arbeitnehmer zu kümmern – und nichts anderes macht Verdi.“ Sonntagsarbeit sei in der Verfassung festgelegt, „und das kann man mit einer Verordnung nicht einfach wegwischen“. Wie es nach dem Ablauf der Corona-Schutzverordnung am 31. Oktober weiter gehe, sei noch ungewiss: „Da ist der Landtag gefragt, da sind Jörg Geerlings (CDU-Landtagsabgeordneter, Anmerkung der Red.) und Hermann Gröhe (CDU-Bundestagsabgeordneter, Anmerkung der Red.) gefordert, gemeinsam mit Verdi eine Regelung zu finden, die verfassungskonform ist.“
Die Verluste des Handels durch Corona und Online-Konkurrenz seien nicht mit vier Stunden am verkaufsoffenen Sonntag auszugleichen. Das Thema sei viel komplexer. Fischer erzählt von der Bekannten, deren Kind Spielsachen und Kleidung eigenständig per Laptop bestelle oder der Oma, die auf dem Spielplatz mit ihrem Handy eine neue Hose fürs Enkelchen ordere. „Das sind Menschen, die generell kaum noch Geschäfte aufsuchen. Die Einkaufskultur lässt sich nicht mit einer Sonntags-Öffnung ändern.“ Der SPD-Politiker hatte bei der Kommunalwahl in Holzheim für den Stadtrat kandidiert, war im Wahlkampf viele Male auch in der Innenstadt unterwegs: „Sehr viele Bürger haben die Innenstadt kritisiert“, erinnert er sich an Beschwerden zum Beispiel über zu viele Billig- und Dönerläden. Auch die drohende Kaufhof-Schließung sei ein Riesenthema gewesen. Sein ernüchterndes Resümee: „Man kann nicht morgens über die Kaufhof-Schließung weinen und abends bei Amazon bestellen.“
Udo Fischer gehörte auch zu dem Team, das die SPD-Cityoffensive (wir berichteten) ausgearbeitet hatte. „Wir wollen gut bezahlte Arbeitsplätze erhalten und das geht nur, wenn der Einzelhandel Umsätze macht. Blumen und Bänke allein reichen nicht, da muss mehr passieren.“ Der Autoverkehr in der Innenstadt müsse reduziert werden. Es müsse ein Sammelpunkt entstehen, an dem die zuvor in der City bestellte Ware abgeholt werden könne – oder sie werde gleich nach Hause gebracht. Im Hinblick auf weitere verkaufsoffene Sonntage bleibt Fischer hart: Es gehe um den Schutz der Mitarbeiter, um die alleinerziehenden Mütter und die Familien, die dann keine gemeinsamen Ausflüge unternehmen könnten – aber auch um die Geschäftsinhaberin, die als „Einzelkämpferin“ den Sonntag als Ruhetag benötige. „Ein verkaufsoffener Sonntag in der Vorweihnachtszeit muss reichen“, so Fischer.
Weiter kämpfen werde der DGB allerdings gegen den Billigtarif im Online-Handel: „Hier muss der Einzelhandelstarif gelten!“Fischers Fazit: „Der Einzelhandel muss sich den neuen Herausforderungen stellen und Ideen haben; die Politik ist gefordert, die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen“ Fischer setzt auf Unterstützung: „Die Innenstadt braucht einen hauptamtlichen Quartiersmanager, der mit Neuss Marketing und ZIN zusammen arbeitet. Die Politik muss dafür sorgen, dass er bei der Wirtschaftsförderung angesiedelt wird und von dieser auch bezahlt wird.“ Der Kampf gegen die sich verschärfenden Probleme in der Innenstadt müsse auf professionelle Füße gestellt werden, „sonst wird es noch mehr Niedergänge und Leerstände geben“.