Versöhnungskirche wird zum diakonischen Zentrum ausgebaut Reformationskirche soll zum Januar 2022 geschlossen werden

Nordstadt · Es flossen Tränen während der Gemeindeversammlung der evangelischen Reformationskirchengemeinde Neuss, Wut und Enttäuschung wurden lautstark geäußert. „Ihr nehmt uns nicht nur die Kirche, ihr nehmt uns unsere Heimat“, sagte ein in der Jugendarbeit tätiger Ehrenamtler. Was war passiert? Die Presbyteriumsvorsitzende Angelika Tillert hatte die Schließung der Reformationskirche verkündet.

In Corona-konformem Abstand verfolgten die Besucher der Gemeindeversammlung in der Reformationskirche die Entscheidungsverkündung des Presbyteriums.

Foto: Kurier Verlag GmbG/Rolf Retzlaff

Das Gebäude der Reformationskirche am Berliner Platz soll zum 1. Januar 2022 als Gottesdienstzentrum aufgegeben werden, das angrenzende Jugendzentrum soll erhalten bleiben; hier könne auch Seniorenarbeit einen Platz finden. Auf dem Gelände der Versöhnungskirche an der Furtherhofstraße soll ein evangelisch-diakonisches Zentrum entstehen. Die Schließung eines der beiden Zentren sei unabwendbar, macht Tillert anhand harter Fakten deutlich: Nicht nur aufgrund von Corona seien die Gemeindemitgliederzahlen deutlich gesunken. Zurzeit zahlen in der Reformationskirchengemeinde 5.350 Menschen Kirchensteuer, bis 2030 wird mit einem Rückgang um 20 Prozent auf 4.350 Mitglieder gerechnet. Unterm Strich schlägt dieses Rechenspiel aktuell mit rund 160.000 Euro weniger Kirchensteuereinnahmen zu Buche.

„Wir haben einen Nachtragshaushalt erstellt und finanzieren aus den Rücklagen“, erklärt Tillert. Der Unterhalt eines Gemeindezentrums koste jährlich rund 100.000 Euro, Geld, das nicht dauerhaft zur Verfügung stehe. „Wir haben entschieden, dass Menschen wichtiger sind als Gebäude“, sagt Tillert. Durch die Aufgabe eines Kirchengebäudes könne die Arbeit vor Ort mit den vorhandenen Mitarbeitern aufrecht erhalten werden. Allerdings: Geht künftig einer der beiden aktuell in Vollzeit beschäftigten Pfarrer, stehen der Gemeinde nur noch 1,5 Stellen zur Verfügung.

Das Presbyterium hat sich bisher schwer getan mit der Entscheidung, welches Gemeindezentrum geschlossen werden soll. Neun Jahre lang wurde diskutiert, es wurden Machbarkeitsstudien und Gebäudestrukturanalysen bei externen Fachleuten in Auftrag gegeben. Das Resultat: Reformations- und Versöhnungskirche seien gleichwertig – von der Anzahl der Gemeindemitglieder bis zur Gebäudequalität. Dennoch hat das Presbyterium jetzt eine Entscheidung für die Versöhnungskirche gefällt. Begründung: So werde ein „großer weißer Fleck“ zwischen der Reformationskirche und Kaarst ohne Gottesdienstzentrum verhindert. Zudem ermögliche das Grundstück an der Furtherhofstraße eine Bebauung, die einer Ausweitung der diakonischen Arbeit etwa durch Angebote des Betreuten Wohnens oder behindertengerechte Wohnungen zugute kommen könne. Eine bereits getroffene Entscheidung zum Verkauf eines Teils des Areals wird deshalb zurückgezogen.

„Der zu erwartende Verkaufserlös wäre auch zu gering gewesen“, so Tillert. Auch verweist sie auf den im kommenden Jahr geplanten Neubau der in direkter Nachbarschaft zur Versöhnungskirche gelegenen Kindertagesstätte, eine weitere Gruppe werde eingerichtet. Weiter führt sie die Nähe zur evangelischen Grundschule an. Am Berliner Platz soll aber nicht endgültig Schluss sein: Das existierende Jugendzentrum neben der Reformationskirche soll seine Arbeit fortführen. Hier ist angedacht, in Zukunft auch Angebote für Senioren zu machen, was von einigen Besuchern der Gemeindeversammlung kritisch gesehen wurde.

Karin Schnitzler, Leiterin der Senioren-Begegnungsstätte am Berliner Platz, ließ in ihrer Abwesenheit eine Stellungnahme vorlesen, in der sie aufzeigte, dass sie an vier Tagen in der Woche Angebote für jeweils 15 bis 20 Senioren durchführe – und dies sei nur im Gemeindesaal möglich, nicht aber im Jugendzentrum. Optisch soll es am Berliner Platz keinen Bruch geben: Die Außenfassade der Reformationskirche soll erhalten, für das Innere werde aber eine neue Nutzung gesucht – die im besten Falle Geld in die Gemeindekassen spült. Dabei sei ein Umbau zu Wohnraum ebenso möglich wie die Nutzung als Veranstaltungsfläche, weiß die Presbyterin, dass jetzt jede Menge Arbeit vor ihr liegt. Aber sie ist zuversichtlich: „Wichtig ist für uns, nun ein zukunftsfähiges Konzept zu haben, das die Gemeindearbeit stabilisiert und dauerhaft sicherstellt.“