Ostern 2023 „Junge Menschen erzählen von einer Welt, auf die es sich zu hoffen lohnt“

Neuss · Sebastian Appelfeller, Vorsitzender des Verbandes evangelischer Kirchengemeinden in Neuss und Pfarrer an der Kreuzkirche in Gnadental, formuliert für die Leser des Stadt-Kuriers seine Gedanken zum Osterfest:

Pfarrer Sebastian Appelfeller auf der Via Dolorosa in der künftigen Neusser Partnerstadt Herzliya. Die Straße führt in den Garten Gethsemane, in dem Jesus der Überlieferung nach in der Zeit vor Ostern mit seinen Freunden den Abend verbracht hatte.

Foto: privat

„Kommen Sie schnell vom Rasen!”, durchbrach es die friedliche Runde. Mit einem Glas koscherem Sekt waren wir gerade dabei, mit dem muslimischen, dem katholischen Kollegen und dem jüdischen Kollegen und Hausherren auf dem Rasen vor der neu gegründeten Synagoge in Neuss anzustoßen.

„Kommen Sie schnell vom Rasen!“, rief ein zweites Mal und nun energischer der Sicherheitsbeamte. Allerdings nicht, weil er sich um unsere Sicherheit oder die der Synagoge sorgte, sondern vielmehr, weil wir den frisch eingesäten Rasen in Gefahr brachten. Manchmal – gebe ich gerne zu – bin ich dankbar, in Neuss zu leben. Wenn ich in den Frühlingstagen wie jetzt den Rhein entlang fahre und die Blüten der Magnolien sehe, oder wenn ich die Gänse an der renaturierten Erft beobachte. Aber eben auch dann, wenn ich mir klar mache, dass andere uns um unsere Sorgen beneiden würden.

Es war jener unschuldige Moment auf dem Rasen vor der Synagoge, der den Auftakt dafür gab, dass wir uns im letzten Jahr gemeinsam mit jüdischen, christlichen und muslimischen Schülerinnen und Schülern nach Israel aufgemacht haben, um die neue Partnerstadt Herzliya zu besuchen. Und es waren nur wenige Minuten nach dem fröhlichen Foto in der Via Dolorosa, als wir erlebt haben, welche ernsten Spannungen zwischen jüdischen und muslimischen Jugendlichen nur zwei Straßenzüge weiter herrschten. Wir erlebten Sicherheitsleute, die für unsere Sorgen vermutlich dankbar gewesen wären.

Mir sind diese Bilder im Gedächtnis, wenn ich heute 2023 zum zweiten Mal über österlichen Frieden spreche, während deutsche Waffen in ein europäisches Kriegsgebiet geliefert werden. Zugleich habe ich die Geschichten von ukrainischen Frauen im Ohr, die seit einem Jahr im Altenheim neben der Kirche wohnen. Geschichten, die deutlich machen, es gibt keine einfachen Antworten, auch nicht zu Ostern 2023.

So geht mein Blick ein zweites Mal zurück zu eben jenem Moment auf dem Foto. Verfolgt man die Straße in meinem Rücken, kommt man stadtauswärts in den Garten Gethsemane. Hier hatte Jesus der Überlieferung nach in der Zeit vor Ostern mit seinen Freunden den Abend verbracht. Er hatte in Vorahnung des nahenden Unheils die Jünger gebeten: „Bleibet hier, wachet und betet.”

Bleibet hier! – Das klingt wenig nach österlichem Triumph und auch nicht nach Osterspaziergang und bunten Eiern. Vielmehr nach Solidarität und Aushalten. Vielleicht ja auch die Unerträglichkeit, nicht alles lösen zu können. Nicht weg zu sehen in diesem wunderbaren Land Israel und unserer neuen Partnerstadt Herzliya, selbst dann, wenn es ausweglos erscheint. Aber auch konkrete Solidarität zeigen, wenn es uns direkt in Europa betrifft. Wenn Gas- und Ölpreise steigen und Turnhallen wieder durch Flüchtlinge belegt werden.

Wachet! – Es erstaunt, dass der friedliche Jesus im Garten Gethsemane vom Wachen spricht. Einem Wachen, das weniger mit dem Wachbleiben zu tun hat, sondern einem, das sich vom Wachen der Stadtwache ableitet. So sehr wir es wollten, es scheint aktuell keine friedliche, sondern nur eine friedensliebende Antwort im Ukraine Krieg zu geben. Dabei ist es ernst! Es geht leider nicht um keimenden Rasen, sondern um sterbende Menschen. Auch eine Osterpredigt muss anerkennen, dass das Gewaltmonopol des Völkerrechts sich nicht nur durch gute Worte wieder aufrichten lässt. Wir sind gehalten, uns schuldig zu machen. In aller Konsequenz.

Betet! – Beides, die uns abverlangte Solidarität und auch das Handeln entgegen unserer Sehnsucht nach Frieden, beides verlangt uns viel ab. Uns als Gesellschaft, mir als Vater und Bürger. Als Wähler in diesem Land und als Nachbar neuer Nachbarn. Und es braucht nicht viel, um zu erahnen, dass es nicht leichter wird. Doch, und das ist die Aussage des Festes, das wir diese Woche feiern, es sind die unfertigen Menschen, die in der Ostergeschichte als erstes ans leere Grab kommen. Die, die Angst hatten und die, die schuldig wurden. Die, die auf Frieden gehofft hatten und die, die so oft im Leben enttäuscht wurden. Sie alle kamen und wurden nicht weggeschickt. Fanden vielleicht auch im Gebet einen Raum, in dem sie die Hoffnung auf mehr teilen konnten. So wie eben auch jene jungen Menschen, die wir in Israel getroffen haben. Die uns von einer Welt erzählen, auf die es sich zu hoffen lohnt. Oder eben jene ukrainischen Kinder, die ihre Hoffnung spielerisch im Garten der Kirche ausleben, wenn sie Frieden spielen.

Dass die Hoffnung all jener stärker ist als all meine Zweifel an der Welt, auch das ist Ostern. So will ich in diese Tage gehen. Bleibend und wachsam sowie voller Hoffnung im Gebet.

Uns allen, in Herzlia und Israel, in Charkiw und der Ukraine, in Neuss und auf der ganzen Welt. Friedliche und gesegnete Ostern!

(Rolf Retzlaff)