So tickt der neue Schützenkönig Christoph Heusgen: Von „Gemeinsamkeit wahren“ und der Frauen-Frage bis zum Einfluss der Weltpolitik auf „sein“ Schützenfest
Neuss · Christoph Heusgen ist Diplomat, war außen- und sicherheitspolitische Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen und hat 2022 den Vorsitz der Münchner Sicherheitskonferenz übernommen. Doch für die Neusser ist er vor allem eins: ihr neuer Schützenkönig! Aber wie tickt Seine Majestät, die es gewohnt ist, sich sicher auf internationalem politischen Parkett zu bewegen? Stadt-Kurier-Redakteur Rolf Retzlaff sprach mit ihm über sein Motto „Gemeinsamkeit wahren“, die Frauen-Frage und wie die Welt-Politik „sein“ Neusser Schützenfest beeinflusste.
Herr Heusgen, welche Art von Schützenkönig werden Sie sein? Der traditionelle Typ oder sind Sie eher modern aufgestellt?
Heusgen: Das ist für mich kein Gegensatz. Ich bin sehr traditionsbewusst, was das Schützenfest und dessen Ablauf anbelangt. Das ist ein rundes Paket, an dem nichts geändert werden muss. Aber es gibt Aspekte wie zum Beispiel die Einbeziehung der Frauen im Schützenwesen, über die es nachzudenken gilt.
Wie könnte es hier nach Ihrer Ansicht weitergehen?
Ich fand die Kinderparade toll, bei der nicht zwischen Jungen und Mädchen unterschieden wurde. Grundsätzlich bin ich dafür, Frauen mit einzubeziehen. Allerdings dürfen wir bei einer Veränderung des Schützenwesens nicht mit dem Kopf durch die Wand gehen. Wir müssen die Schützen mitnehmen und aufpassen, dass die korpsübergreifende Gemeinschaft im Neusser Bürger-Schützen-Verein nicht gesprengt wird. Angesichts der Polarisierung in unserer Gesellschaft und Politik gilt es, Freude, Gemeinschaft und Solidarität zu bewahren. Gleichzeitig gilt es, unser Fest weiterzuentwickeln. Neben der stärkeren Einbeziehung der Röskes geht es aber auch um die Integration der vielen Neuankömmlinge in Neuss, auch aus dem Ausland. Dementsprechend wird mein Motto in meinem Jahr der Regentschaft auch „Gemeinsamkeit wahren“ lauten.
Wie lange wird uns die Frauen-Frage noch beschäftigen?
Die Einbeziehung von Frauen wird ein längerer Prozess sein. Die Nickel-Kommission (Satzungskommission unter Leitung von Thomas Nickel, Anmerkung der Red.) macht, was ich höre, gute Arbeit. Ich erwarte keine radikalen Vorschläge, denn auch für die Kommission wird es wichtiges Ziel sein, so viele Menschen wie möglich mitzunehmen. Mich stimmt froh, wenn der Schützenpräsident meint, er könne sich gut vorstellen, dass seine Enkelin einmal Präsidentin des NBSV werden könne ...
Sie engagieren sich auch auf internationaler Ebene für Frauen-Themen.
Genau, so habe ich als Deutscher Botschafter im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dafür gesorgt, dass Frauenthemen behandelt wurden und beispielsweise eine Resolution zu „Sexueller Gewalt in Konflikten“ verabschiedet wurde. Seit rund eineinhalb Jahren bin ich Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. In dieser Zeit habe ich es erreicht, dass 50 Prozent Frauen auf den verschiedenen Podien der Konferenz sitzen. In der Außenpolitik setze ich mich natürlich für die Beachtung der Menschenrechte ein, für die Rechte von Schwulen und Lesben. Aber hier darf man nicht zu kategorisch sein und Maximalforderungen stellen. Arabische oder afrikanische Gesellschaften haben andere Hintergründe als unsere. Sie entwickeln sich allmählich, die Menschen müssen mitgenommen werden, wie – der Vergleich ist natürlich gewagt – es auch für das Neusser Schützenwesen gilt. In diesem Sinne bin ich ein Modernisierer, der jedoch den Konsens und nicht die Konfrontation sucht.
Thema Tradition: Sie gehörten 1971 zu den Gründungsmitgliedern des Schützenlustzugs „Nur so“. Wann reifte die Entscheidung, Schützenkönig werden zu wollen?
Schon seit meiner Jugend wollte ich auf den Königsvogel schießen. Ich erinnere mich noch gut an den Schützenfestsonntag 1983 im Marienbildchen: In euphorischer Stimmung nach der Parade hatten Achim Goetz und ich unsere Eltern angerufen mit der Frage, ob sie uns finanziell unterstützen würden, sollte einer von uns in diesem Jahr König werden. Der Enthusiasmus unserer Eltern war zwar vorhanden, aber nicht so ausgeprägt, dass wir unser Vorhaben in die Tat umsetzen konnten ... (schmunzelt)
Und weshalb haben Sie dann noch 40 Jahre lange mit dem Schuss auf den Königsvogel gewartet?
Aus beruflichen Gründen. Ein Beispiel: Bei der Königsparade 2013 erhielt ich einen Anruf von Susan Rice, der nationalen Sicherheitsberaterin von Präsident Barack Obama, die mir mitteilte, dass die USA die Absicht hätten, als Reaktion auf den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien militärisch zu intervenieren. Ich unterrichtete sofort die Kanzlerin, und nach der Parade musste ich sofort nach Berlin fahren – das hätte ich als Schützenkönig nicht bringen können. Jetzt habe ich Berufe, die mir erlauben, das Schützenfest in Ruhe zu feiern.
Apropos Ruhe: Ihr Jubel nach dem Fall des Königsvogels war in den ersten Minuten sehr verhalten. Sie gingen in die Hocke und wurden ganz still ...
Das habe ich selbst nicht erwartet ... Ich war jahrelang Angela Merkels Krisenmanager, aber als der Vogel fiel, war das ein derart starker emotionaler Eindruck, wie ich ihn in meinem Leben nur selten erlebt habe.
Zu den ersten Gratulanten gehörte Ihr Mitstreiter Bert Römgens, Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde Düsseldorf/Neuss.
Es ist beeindruckend, was er mit seinen „Nüsser Divergenten“ auf die Beine stellt, wofür sein Zug steht und wie er persönlich mit dem Bau einer Synagoge das Leben in Neuss bereichert. Ich hatte ihn und seinen Zug auch zum Krönungsball eingeladen. Damit wollte ich ein Signal senden. Ein weiteres Signal wollte ich mit der Einladung von Flüchtlingen aus Äthiopien, Eritrea und Afghanistan setzen: Unsere Gesellschaft wird sich verändern, auch in Neuss wird der Anteil von Menschen mit nicht-deutschen Wurzeln immer größer. Eine Entwicklung, die wir auch im Schützenwesen berücksichtigen müssen.
Als Schützenkönig stehen Ihnen zahlreiche Termine bevor. Ein bisschen schwierig, schließlich wohnen Sie in Berlin.
Ich habe mit Angela Merkel gearbeitet, da bin ich eine enge Taktung gewohnt. Ich werde nicht so ein „Termin-Feuerwerk“ wie Marc Hillen abbrennen können, der ein großartiger König war und mir sofort geholfen hat. Ich werde versuchen, allen zehn Korps meine Referenz zu erweisen und vor den Festtagen auch Schulen, Kitas und Altenheime besuchen.
Und das alles gemeinsam mit Ihrer Frau Ina, die als Referatsleiterin bei Bundeskanzler Scholz auch beruflich stark eingebunden ist?
Sie ist ein Kölsches Mädchen, sie mag Neuss und das Schützenfest. Ihr Engagement ist beeindruckend: Sowohl nach dem Königsschuss als auch nach dem Krönungsball ist sie noch in der Nacht mit dem Zug nach Berlin zurück gefahren. Da gilt natürlich mein besonderer Dank meiner wunderbaren Frau. Meinen Königsschuss widme ich im übrigen meinen großartigen Kindern Térésa und Leah, Till und Moritz, meinen Enkeln Konstantin und Marie – und meiner unvergessenen Tochter Hannah (leider bereits verstorben, Anmerkung der Red.).
Und Sie durften nach dem erfolgreichen Schuss auf den Königsvogel jede Menge Gratulationen entgegennehmen ...
... zum Beispiel von Angela Merkel, vom SPD-Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil und vom FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Und die BILD-Zeitung hat mich zum „Gewinner des Tages“ gekürt. (lacht)
Zum Abschluss noch die Frage nach Ihren Hobbys – dafür bleibt wahrscheinlich kaum noch Zeit, oder?
Meine Hobbys sind Rudern – ich komme aus dem Neusser Ruderverein –, Skilanglauf und Marathon. Ich bin zum Beispiel mehrfach den Engadiner Ski-Marathon und 2018 den New-York-Marathon mitgelaufen.
Ganz schön ausdauernd – das beruhigt mit Blick auf ein garantiert anstrengendes, aber auch begeisterndes Königsjahr. Ich bedanke mich für das Interview!
Das Gespräch führte Rolf Retzlaff.