SPD-Chef Benno Jakubassa zweifelt Liegen die Knochen von St. Quirin nun wirklich in Neuss?
Neuss · Sind die Knochen, die in Neuss verehrt werden, die "echten" Überreste des Heiligen Quirinus? Im Mittelalter war er in Deutschland ein Star, denn seit Jahrhunderten pilgern Abermillionen Christen in die Stadt an den Rhein.
Doch der Katholik und SPD-Chef Benno Jakubassa hat große Zweifel.
Wegen der Knochen bauten die Stadtväter den kostbaren Reliquienschrein und das uralte Quirinus-Münster. Pilger aus aller Welt brachten der Stadt Ruhm und Reichtum. Doch SPD-Chef Benno Jakubassa zweifelt nun öffentlich an der Echtheit der Gebeine, stürzt auch Schüler, die im Unterricht von Sankt Quirin hören, und alle echten Nüsser in eine tiefe Identitäts-Krise. "Ich möchte nicht wissen, wem die Stadtväter da bei der Quirinusprozession hinterherpilgern", so der gläubige Katholik am Rande einer Pressekonferenz. Was ist dran an der Vermutung? Der Stadt-Kurier sprach mit Experten in Rom und suchte auch in den Katakomben nach der Wahrheit.
Erste Anlaufstelle: Der Forscher, Historiker und Vatikan-Experte Michael Hesemann, der als einer der wenigen Wissenschaftler weltweit dauerhaften Zutritt zu den geheimen Archiven im Vatikan hat.
"Quirinus ist in in der St. Praetextatus-Katakombe an der Via Appia beerdigt worden. So steht es im Römischen Martyrologium: "Romae via Appia passio beati Quirini Tribuni, qui a sancto Alexandro Papa...."
Diese Tradition reicht, so Hesemann, bis ins vierte Jahrhundert zurück. "Der Bericht ist zu konkret, zu detailliert, um völlig fiktiv zu sein — also spricht einiges dafür, dass Quirinus gelebt hat", sagt uns der Vatikan-Experte. Reliquien wurden, so Hesemann, immer "verschickt" — es können also tatsächlich Quirinus-Reliquien nach Neuss gekommen sein. "Aber der Fachmann auf dem Gebiet ist Professor Stefan Heid. Er wohnt ja im Campo Santo!"
Der Campo Santo Teutonico liegt im Vatikan, wird von Schweizer Gardisten bewacht. "Wir wollen zu Msgr. Professor Dr. Heid." Die beiden bunt gekleideten Gardisten salutieren, lassen uns durch. Während am Petersplatz Trubel herrscht, ist es auf dem deutschen Friedhof direkt neben St. Peter ruhig.
"Es gibt — wie eigentlich nie — keine schlagenden Beweise dafür, dass der in St. Quirin Neuss Verehrte der bereits in der Prätextatkatakombe jahrhundertelang verehrte Quirinus gewesen ist. Es sprechen aber auch keine klaren Beweise dagegen. Vielmehr ist es durchaus wahrscheinlich, dass Quirinus im Zuge der Reliquientranslationen des 9. Jahrhunderts nach Neuss kam. Die alte Römerstadt hatte selbstverständlich auch im christlichen Mittelalter einen starken Rom-Bezug", sagt der Professor, der einige Zeit in Neuss gelebt hat. Als Leiter der Görres-Gesellschaft genießt Heid auch beim emeritierten Papst Benedikt höchstes Ansehen.
Es ist 30 Grad heiß an jenem Sommertag. Wir gehen die steile Treppe an der Via Appia hinunter in die kühlen Katakomben. Hier außerhalb der Stadtmauer haben die frühen Christen ihren Toten "Schlafsäle" gebaut. Sie glaubten an die Auferstehung.
Quirinus war ein römischer Tribun, der gemeinsam mit seiner Tochter Balbina durch Papst Alexander I. die Taufe empfangen hatte. Diesen Übertritt zum Christentum musste er der Legende nach mit dem Leben bezahlen. Die Schergen Kaiser Hadrians folterten und töteten ihn. Bestattet wurde er hier an der Via Appia.
Um das Jahr 1000 sollen die Reliquien des Quirinus nach Neuss gelangt sein.
"Sicherer ist, dass der Heilige Sebastian noch hier liegt", so ein Mitarbeiter der benachbarten Sebastianus-Katakomben. Ob Quirin in Neuss die letzte Ruhe gefunden hat. Jakubassa könnte recht haben. Doch "Glauben" ist nicht "Wissen".