Hin- und Herberge durchgehend geöffnet+++Suppenküche+++Neuss packt an Obdachlos in der Corona-Krise? So wird Wohnungslosen in Neuss geholfen
Neuss · „Bitte bleiben Sie zu Hause“ – so schallt es weltweit von überall her. Aber was ist mit denjenigen, die gar kein Zuhause haben? Der Stadt-Kurier hat sich umgehört, was die Corona-Krise für die Neusser Obdachlosen bedeutet.
Inzwischen halten sich wirklich viele Neusser an die Verordnung, nach Möglichkeit zu Hause zu bleiben, seit Sonntag ist der Aufenthalt im öffentlichen Raum in Gruppen ab drei Personen verboten. Die Neusser Obdachlosen aber können nicht einfach nach Hause gehen und sich und andere auf diese Weise schützen. Deshalb greifen ihnen die Stadt Neuss, die Caritas und zahlreiche Ehrenamtler in diesen schwierigen Zeiten unter die Arme.
Obdachlose Frauen werden – auch unter „normalen Umständen“ – von der Stadt Neuss entweder in Hotels oder im Kolpinghaus untergebracht. Daher sei aktuell die Minimierung sozialer Kontakte gut umsetzbar.
In Neuss gibt es für wohnungslose Männer, die den Großteil der Obdachlosen bei uns ausmachen, die Übernachtungseinrichtung Hin- und Herberge am Derendorfweg 8, die im Normalfall wochentags nur von 17 bis 7.30 Uhr und an Wochenenden und Feiertagen ganztägig geöffnet ist.
„Ab sofort steht die Übernachtungseinrichtung rund um die Uhr und an sieben Tagen zur Verfügung“, teilt das Presseamt der Stadt Neuss auf Stadt-Kurier-Anfrage mit. Die Stadt setze hier verstärkt auf Aufklärung der Einrichtungsnutzer sowie Einhaltung der Hygienevorschriften. Es werde versucht darauf hin zu wirken, dass die Nutzer so wenig Kontakt als eben notwendig untereinander pflegten. Dies sei jedoch, das sei sicherlich nachvollziehbar, nicht immer umsetzbar.
In der Hin- und Herberge ist Platz für bis zu 50 Obdachlose. Sozialdezernent Ralf Hörsken legt Wert darauf, dass die obdachlosen Menschen gut aufgehoben sind und Schutz erfahren: „Am Derendorfweg kann die Stadt sogar Quarantäneräume für den Notfall zur Verfügung stellen.“ In der Unterkunft sind sowohl alle Sanitärbereiche als auch der Küchenbereich mit zusätzlichen Möglichkeiten der Körperreinigung (mehrere Seifenspender) sowie Desinfektionsmittel ausgestattet.
Die meisten Obdachlosen werden von der Stadt in normalen Wohnungen untergebracht – dort liege die Umsetzung der Maßnahmen in eigener Verantwortung der Wohnungslosen. Eine medizinische Versorgung sei im Grunde für jeden untergebrachten Menschen möglich, da fast alle auch krankenversichert seien, heißt es von Seiten der Stadt. „In Fällen, in denen kein Versicherungsschutz gegeben ist, besteht die Möglichkeit über einen Arzt, der ehrenamtlich Untersuchungen vornimmt, ärztliche Hilfe zu bekommen“, so Stadtsprecherin Nicole Bungert und weiter: „In den Fällen, in denen Personen mit verstärktem Husten oder Fieber auffallen, wird darauf hingewirkt dass ein Arzt aufgesucht wird.“
Alle von der Stadt untergebrachten Menschen seien schriftlich und persönlich auf die bestehende Situation hingewiesen worden. Außerdem seien alle gebeten worden, sich auf diese besondere Situation einzustellen. „Bislang ist mir nicht bekannt, dass aus diesem Bereich eine Infizierung erfolgt ist“, meint Bungert.
Hintergrund der nun dauerhaften Öffnung der Hin- und Herberge sei die Schließung der Fachberatungs- und Kontaktstelle für Menschen mit besonderen Schwierigkeiten in Neuss. „Die Einrichtung wird vom Caritasverband Rhein-Kreis-Neuss betrieben, musste aber nach der aufsichtlichen Weisung des Landesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales geschlossen werden“, erklärt Stadtpressesprecher Peter Fischer. Das Landesministerium wolle damit die zumeist obdachlosen Menschen besser schützen und eine weitere Ausbreitung des Coronavirus verhindern.
Davon ist auch das Café Ausblick in der Innenstadt betroffen. Der Wegfall dieser zentralen Anlaufstelle könne nach Einschätzung sozialer Fachleute nur durch die dauerhafte Öffnung der Hin- und Herberge aufgefangen werden. „Der Caritasverband unterstützt mit Personalgestellung und Lieferung von warmen Mahlzeiten“, weiß Fischer.
Die gibt es übrigens auch weiterhin bei der Suppenküche der St. Augustinus Gruppe – aus Sicherheitsgründen jetzt aber nicht mehr drinnen, sondern draußen. Hier verteilen die ehrenamtlichen Helfer und Mitarbeiter warmen Wirsingeintopf und Lasagne. Außerdem gibt es Joghurt, Brot und heißen Kaffee. Zum Teil schützen sie sich mit Mundschutz, alle sind mit Plastikschürzen und Handschuhen ausgestattet und die Speisen gibt es nur noch in Behältern zum Mitnehmen und nicht mehr am Tisch. „All das sind Schutzmaßnahmen, um eine mögliche Ansteckung mit dem Coronavirus zu verhindern“, erklärt die St. Augustinus Gruppe.
Nicht nur in Neuss hat die Tafel geschlossen, auch deutschlandweit klagen viele Städte über den Wegfall dieser wichtigen Unterstützung für sozial schwache Mitbürger. Kein Wunder also, dass viele Bedürftige das Angebot der Suppenküche gerade jetzt nutzen. Auch hier wird Abstand in der Schlange gehalten, um die einzige warme Mahlzeit des Tages zu bekommen. „Ihre Not ist durch die Corona-Krise nur größer geworden. Die Tafeln haben geschlossen, einige Ehrenamtler ziehen sich zurück – aus Sorge, sich anzustecken“, erklärt Karl-Heinrich Bertelmann-Ginster, Einrichtungsleiter der St. Augustinus Behindertenhilfe. Andere machen trotz der Umstände weiter. „Wenn wir nicht wären, was bekämen diese Menschen dann noch zu essen?“, erklärt Miroslaw Dorosz sein Engagement als Bereichsleiter und Koordinator.
Jeden Wochentag werden auf diese Weise warme Mahlzeiten ausgegeben. Das Mittagessen wird frisch im Johannes von Gott Haus zubereitet. 60 Portionen gehen momentan täglich raus. „Diese Not treibt uns an. Wir wollen diese Menschen nicht sich selbst überlassen“, so die Helfer.
Auch die Obdachlosenhilfe „Neuss packt an – warm durch die Nacht“ hat sich das auf die Fahnen geschrieben. „Leider ist es im Moment wirklich nicht einfach, unsere Wohnungslosen zu versorgen“, erklärt Steffie Johnen vom Helferteam. Ein Spendenverteiler vergangenen Freitag musste bereits ausfallen. „Trotzdem können wir unsere Schützlinge ja nicht im Stich lassen. Daher haben sich drei unserer Helfer am Samstag in unserem Lager getroffen, Kisten mit Lebensmitteln, Süßigkeiten und Hygieneartikeln gepackt und zwei von ihnen sind dann in die Hin- und Herberge gefahren, um diese von den Herren benötigten Dinge dort abzugeben“, so Johnen. Und die Wohnungslosen hätten sich sehr über diesen „ungewohnten Service“ gefreut.
Die Hilfsbereitschaft in Neuss und Umgebung sei immer sehr hoch. Dennoch gehen auch die Vorräte der Gruppe rapide aus. Einen Lichtblick gab es am Samstag, als eine Familie aus Uedesheim ganz spontan im Bekannten- und Freundeskreis einen Aufruf unter dem Motto „Lebensmittel für Neuss-packt-an“ in die Wege geleitet habe. Weitere Infos dazu gibt es auf der Facebook-Seite der Obdachlosenhilfe. Einfach nach „Neuss packt an – warm durch die Nacht“ suchen.