Weg für Schützenfest nach „Zog-Zog“ frei „Gegenentwurf zu Krieg und Hass“

Neuss · In Neuss ist ganz offiziell nach drei Jahren wieder die Kirmeszeit angebrochen. Um 20.09 Uhr schallte am vergangenen Samstag auf der Bürgerversammlung des Neusser Bürger-Schützenvereins (NBSVB 1823) als Antwort auf die Kardinalfrage von Komiteemitglied Dr. Christoph Ulrich ein lautes „Zog-Zog“ durch die gut besetzte Stadthalle.

Die Musik darf wieder spielen: Die Bürger und Bürgersöhne haben entschieden – das Neusser Schützenfest wird wie geplant vom 27. bis 30. August gefeiert.

Foto: Kurier Verlag/Rolf Retzlaff

Damit kann das Neusser Bürger-Schützenfest nach zweijähriger Unterbrechung durch die Corona-Pandemie wie geplant vom 27. bis 30. August gefeiert werden.

Weil NBSV-Präsident Martin Flecken nach den vom Musikverein Holzheim und dem Tambourcorps Concordia Holzheim intonierten Klängen von „Dat Schönste op de Welt“ den Wunsch der Bürger und Bürgersöhne samt Ehrengäste mit Bürgermeister Reiner Breuer auch per Handzeichen einstimmig bestätigt bekommen hat, steht der Durchführung des Heimatfestes formal nichts mehr im Wege. „Wir sind sehr dankbar“, kommentierte Flecken das begeisterte Votum der „Treuen der Treuesten“.

Bedenken gegen die Durchführung des Heimatfestes aufgrund wieder steigender Infektionszahlen und des Ukraine-Kriegs war der NBSV-Präsident zuvor in seiner Begrüßungsrede in Anwesenheit von Schützenkönig Kurt I. Koenemann, der als Klarinettist in Reihen des MV Holzheim statt im Saal saß, sowie des designierten Regimentsoberst Bernd Herten und dessen voraussichtlichen Adjutanten Stefan Lülsdorff mit guten Argumenten begegnet. „Man darf feiern, wenn man dabei das Leid anderer Menschen in der Welt nicht vergisst. Feiern sind aber auch Ausnahmen vom Alltag, für den Muße, Leidenschaft und Lebensfreude gerade in Zeiten von Bedrohungen überlebenswichtig sind. Feste sind auch die Zustimmung zur Welt mit ihren negativen Seiten. Unsere Blümchen in den Gewehren sind allerdings auch ein Friedenszeichen, wie es größer nicht sein könnte“, sagte Flecken und bekam für seine klare Positionierung Applaus von den Zuhörern.

Der Komitee-Vorsitzende erinnerte darüber hinaus an das gesellschaftliche Engagement der Neusser Schützen während der Pandemie-Zwangspause durch die eigene Impfkampagne oder die Hilfe nach der Flutkatastrophe 2021 besonders durch die Grenadiere. Doch musste Flecken auch unerfreuliche Themen ansprechen: „Wir werden gezwungen sein, die Mitgliedsbeiträge im nächsten Jahr deutlich anzuheben.“ Zur Begründung verwies der Rechtsanwalt auf die ungünstige Gesamtsituation: „Nach der Pandemie wird auch von langjährigen Vertragspartnern einiges rund um unser Schützenfest anders gesehen und neu gedacht. Es gibt Vorstellungen und Forderungen, denen wir bisher nicht ausgesetzt gewesen sind. Außerdem steigen auch in für uns relevanten Bereichen die Preise.“

Die Probleme und Krisen der Welt gehörten auch zu den Schwerpunktthemen in Ulrichs Antrag an die Bürgerversammlung zur Zustimmung für die Feier des Schützenfestes. Trotz seiner Wahl ins NBSV-Komitee warb der frühere Gildekönig „aus der Sicht eines einfachen Schützen“ für das traditionelle „Zog-Zog“ und zeigte dabei zugleich auch Demut: „Nach den beiden vergangenen Jahren ohne Schützenfest meinten viele, ich müsste nur fragen

und keine Rede halten, um ‚Zog-Zog‘ zu hören, aber die erhoffte Antwort auf meine abschließende Frage bedeutet jedes Jahr wieder eine demokratische Mehrheitsentscheidung, mit der niemand jemals leichtfertig umgehen sollte.“

Ulrichs launiger Vortrag überzeugte das Schützenpublikum allerdings vollauf. Der Jurist machte die Bedeutung des Schützenfestes als „wichtigstes Ereignis unserer Stadt“ durch Vergleiche mit anderen Veranstaltungen in Neuss überdeutlich

und beugte nicht zuletzt auch etwaigen Gewissensbissen aufgrund der allgemeinen Situation vor. „Wir dürfen sehr wohl feiern, denn unser friedvolles, menschenverbindendes Gemeinschaftsfest ist der Gegenentwurf zu Krieg und Hass, unsere Solidarität ist stärker als Gewalt, und deswegen können und dürfen wir Solidarität, Gemeinschaft und eben auch Frohsinn leben. Die Welt wird niemals so sein, dass alles in Ordnung ist, und trotzdem bleibt Lebensfreude wichtig. Wir dürfen fröhlich sein bei einem Fest, das Neuss von allen anderen Städten unterscheidet, das weltoffen, parteiübergreifend, tolerant und frei von sozialen, geografischen, politischen, religiösen Grenzen ist. Unsere Gemeinschaft ist unvereinbar mit jeder Form von Hass und Gewalt“, sagte Ulrich und stellte klar: „Wir tragen Fröhlichkeit in die Herzen der Neusserinnen und Neusser und ihrer Gäste“

Bürgermeister Reiner Breuer pflichtete Flecken und Ulrich in seiner traditionellen Replik auf das „Zog-Zog“ hinsichtlich der Schützenfest-Durchführung bei. „Es ist legitim und wichtig, dass wir feiern, denn wir dürfen uns unsere rheinische Lebensfreude nicht nehmen lassen“, sagte der Verwaltungschef: „Wir sollten uns aber bewusst machen, welch hohen Wert, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wir haben. Diese Grundrechte sind keine Selbstverständlichkeit, und woanders kämpfen andere mit ihrem Leben dafür. Deswegen lasst uns unsere Freiheitskräfte wertschätzen und freuen, dass wir sie genießen können.“

Breuer zerstreute außerdem Sorgen um den Fortbestand der Festwiese über 2025 hinaus durch die Planungen für die Landesgartenschau: „Die Stadt Neuss steht fest an der Seite der Neusser Schützen. Die Landesgartenschau wird nicht dazu

führen, dass wir kein Schützenfest feiern können – das wäre ja auch ein Witz. Wir werden gemeinsam mit dem NBSV und seinem Komitee Lösungen suchen und finden.“