Wie bereitet sich Neuss auf den Ernstfall vor? Was tun, wenn der Gashahn zu bleibt?
Neuss · Was tun, wenn Putin nach dem 21. Juli den Gashahn nicht mehr aufdreht? Eine Frage, die zahlreiche Bürger bewegt. Doch wie wappnet sich Neuss für den Ernstfall? Der Stadt-Kurier hat nachgefragt.
Die Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein hatte in dieser Woche gemeinsam mit der Stadt Neuss und den Stadtwerken Neuss zum „Krisengipfel“ eingeladen: Rund 40 Vertreter gasintensiver Unternehmen aus dem Rhein-Kreis Neuss waren gekommen, um gemeinsam zu überlegen, wie man die drohende Mängellage möglichst gut übersteht. „Es gibt zwei Möglichkeiten: eine freiwillige Leistungsreduzierung oder die gezielte Abschaltung – und die will keiner“, macht IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz deutlich. Sein Appell, freiwillig den Energieverbrauch zu reduzieren, stieß auf offene Ohren. Stadtwerke und IHK werden in einige Unternehmen entsprechend beraten, auch soll der Austausch zwischen Stadt, Stadtwerke, IHK und Industrie fortgesetzt werden.
Die Stadtwerke Neuss gehen mit ihrer Bäder-Tochter bereits seit Anfang Mai mit gutem Beispiel beim Energiesparen voran. In ihren drei Neusser Schwimmbädern – Südbad, Stadtbad und Nordbad – ist bis auf Weiteres die Wassertemperatur in allen Sport- und Springerbecken um jeweils 1 Grad Celsius abgesenkt. Auch die Hallentemperaturen und die maximalen Duschtemperaturen wurden in den Bädern und in der Saunalandschaft Wellneuss um jeweils 1 Grad Celsius reduziert. Im Wellneuss wurden außerdem die mit Erdgas betriebenen Dekokamine außer Betrieb genommen. In Summe werden so über 900.000 Kilowattstunden Erdgas weniger benötigt werden. „Kooperatives und solidarisches Handeln ist das Gebot der Stunde. Das Einsparpotenzial der schon umgesetzten Maßnahmen in den Bädern entspricht hochgerechnet dem Jahres-Erdgasverbrauch von rund 30 Einfamilienhäusern“, erklärt Stephan Lommetz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Stadtwerke Neuss. Er macht deutlich, dass die Stadtwerke zum bestmöglichen Handling der aktuellen Energiekrise im engen Schulterschluss mit der Stadt und der Industrie- und Handelskammer sind. Fest steht: Gas wird richtig teuer, mindestens eine Verdoppelung des Preises ist mehr als wahrscheinlich. Der Tipp von Stadtwerke-Chef Stephan Lommetz: „Bereits jetzt freiwillig die monatlichen Abschläge erhöhen, damit die Nachzahlung im kommenden Jahr nicht so hoch ausfällt.“ Die Stadtwerke appellieren an ihre Kunden, gegebenenfalls die Heizungen warten zu lassen und das eigene Verhalten zu überdenken. Tipps, wie der Bürger in seinem Haushalt Energie sparen kann, gibt es unter www.stadtwerke-neuss.de (dann „Krieg in der Ukraine“ anklicken).
Auch bei der Stadt Neuss geht man auf Sparkurs: „Wir sind zurzeit dabei, ein Maßnahmenpaket zu schnüren“, weiß Stadtpressesprecherin Monika Vienken. Sie verweist auf die bereits auf den Weg gebrachte Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf energiesparende LED-Technik. Ein nächster Schritt: Nach dem Schützenfest wird das Neusser Rathaus in ein Gerüst „gekleidet“ – Fenster und Fassadendämmung sollen erneuert werden.
Der Neusser Bauverein will seine Mieter nicht mit Reglementierungen überraschen; der Wohnungskonzern Vonovia dreht die Heizungen in seinen Wohnungen nachts auf 17 Grad runter. „Das machen wir nicht“, sagt Bauverein-Pressesprecher Heiko Mülleneisen. Im September sollen die Mieter per Schreiben gebeten werden, die Raumtemperatur freiwillig um mindestens 1 Grad zu senken. „Das würde Energieeinsparungen in Höhe von 6 Prozent bringen“, so Mülleneisen. Auch sollen die Mieter Tipps zum Energiesparen bekommen. „Gar nicht mehr zu heizen ist auch keine Lösung“, warnt Mülleneisen vor Schimmelpilzbildung. Der Bauverein lässt seine Heizungsanlagen prüfen, um so effizient wie möglich heizen zu können. „Wir hoffen auf Freiwilligkeit und Eigenverantwortung, denn es ist auch im Sinne der Mieter, Kosten zu sparen“, so Mülleneisen. Zwar wurden 2021 alte Gasthermen gegen neue ausgetauscht, um CO2 einzusparen, langfristig will sich der Bauverein aber vom Energieträger Gas verabschieden. Die Bauprojekte Leuchtenberg, Augustinuspark und Nordkanalallee werden bereits mit Holzpelletanlagen „befeuert“. Rolf Retzlaff