Immer mehr Kindertagespflegestellen bleiben unbesetzt: Was die Stadt tun kann Tagesmütter bangen um ihre Existenz

Neuss · „Es ist fünf nach zwölf!“ Ela Gerlach, Vorsitzende der Interessengemeinschaft Kindertagespflege Neuss (IG KTP), weist mit deutlichen Worten auf ein „Riesendilemma“ hin: In Neuss sind rund 90 Plätze in der Kindertagespflege frei. „Das schürt wahnsinnige Existenzängste“, so Gerlach. Resultat: Sieben Tagesmütter mussten bereits aufgeben. Die Vorsitzende wünscht sich mehr Unterstützung durch die Stadt, auch Bund und Land will sie in die Pflicht nehmen.

Sie berichten von „Existenzängsten“ der selbstständigen Kindertagespflegeeltern (v.l.): Ela Gerlach (Rosellen, „dieliebeleins“) und Janine Röser (Allerheiligen, „Zwergenhaus“) sind selbst Tagesmütter.

Sie berichten von „Existenzängsten“ der selbstständigen Kindertagespflegeeltern (v.l.): Ela Gerlach (Rosellen, „dieliebeleins“) und Janine Röser (Allerheiligen, „Zwergenhaus“) sind selbst Tagesmütter.

Foto: Kurier Verlag/Rolf Retzlaff

„Es gibt rund 145 Tagespflegepersonen in der Stadt Neuss, circa 90 davon sind Mitglied der IG“, weiß Janine Röser, Vorstandsmitglied der IG KTP. Ebenso wie Ela Gerlach kann sie nicht nachvollziehen, weshalb bei den Tagespflegestellen so viele Plätze frei bleiben, auf der anderen Seite aber die Kitas aufgrund von Personalmangel und finanziellen Nöten Angebote reduzieren, Kinder häufig in Notgruppen zusammenbringen müssen. „Wir kooperieren oft mit Kitas, die Erzieherinnen leisten gute Arbeit“, so Gerlach. Aber gerade im U3-Bereich sei eine Bezugsperson wichtig – vor allem bei Kindern aus besonderen Verhältnissen oder mit besonderem Bedarf. Gerlach: „Alle Kinder haben das Recht, die bestmögliche Förderung zu bekommen. Wir arbeiten eng mit dem Kind und den Eltern. Wie kann eine Kita das leisten?“, fragt Gerlach weiter. Apropos leisten: „Eine Tagespflegestelle kostet die Eltern nicht mehr als ein Kita-Platz“, sagt Gerlach.

Sie fordert: Statt die Fördermittel von Bund und Land für U3 „nur“ an die Kitas auszuzahlen, solle man alle U3-Kinder berücksichtigen – auch die in der Kindertagespflege. Außerdem wünscht sie sich mehr Unterstützung durch das Jugendamt. Die Möglichkeit, sein Kind in einer Tagespflegestelle unterzubringen, müsse bekannter gemacht werden – zum Beispiel durch eine Kombination mit dem städtischen Kita-Navigator, der zurzeit nur die freien Stellen in den Kindertagesstätten aufzeigt.

„Ich unterstütze die Forderung, dass Tagesmütter in den Kita-Navigator aufgenommen werden“, erklärt Thomas Kaumanns, Ratsherr und Jugendpolitischer Sprecher der CDU. „Die Tagesmütter, die ich kenne, sind alle unheimlich engagiert. Deshalb setzen wir uns schon seit vielen Jahren für gute Arbeitsbedingungen ein. Erst vor kurzem haben wir eine neue Regelung für Urlaub und Krankheitstage eingeführt. Auch jetzt stehen wir an der Seite der Tagesmütter.“

Auch die Fraktion Die PARTEI/Die Linke setzt sich für die Tageseltern ein. „Die Tagespflegepersonen sind eine wichtige Säule des Betreuungssystems und als solche sollten sie auch in Neuss behandelt werden“, fordert die Jugendpolitische Sprecherin Swantje Höhne von der Verwaltung. Die Verwaltung solle mehr für Tagespflegepersonen und deren Angebote werben, beispielsweise sollten Anmeldungen über den Kita-Navigator ermöglicht werden. „Gestern wurden sie gebraucht, heute werden sie fallen gelassen und morgen stehen viele Tagesmütter ohne Existenz und Kinder ohne ihre langjährigen Bezugspersonen da“, ärgert sich Höhne. „Die Stadt muss sich endlich auch langfristig für die Tagesmütter stark machen und entsprechend Planbarkeit schaffen. Denn ohne Tagesmütter fehlt der Stadt Neuss ein wichtiges Angebot, welches sie für Familien attraktiver macht.“

Aktuell gibt es laut Stadtverwaltung in einigen Stadtteilen noch freie Kitaplätze. Auf die Möglichkeit der Kindertagespflege wird offenbar erst hingewiesen, wenn das Kind keinen Kita-Platz erhält – doch laut Stadt sei bisher kein Kind leer ausgegangen ... Die Verwaltung erklärt: „Die Kindertagespflege ist ein individuelles Betreuungsangebot, das über die Fachberatung in der Kindertagespflege vermittelt wird. Wenn Eltern die Beratung im Jugendamt in Anspruch nehmen, bekommen sie freie Plätze bei Kindertagespflegepersonen genannt.“

Auf die Frage, ob man die Kindertagespflege in den Kita-Navigator aufnehmen könne, antwortet die Stadt: „Die Möglichkeit wird zurzeit geprüft.“ Ela Gerlach wundert sich: „Das haben wir doch schon vor einem Jahr vorgeschlagen.“

Ein weiterer Aspekt erscheint verwunderlich: Auf der städtischen Homepage wird noch immer kräftig geworben: „Das Jugendamt sucht Kindertagespflegepersonen.“ Da sollte eher für die bereits bestehenden, um ihre Existenz kämpfenden Tageseltern geworben werden ...

Die IG Kindertagespflege Neuss hat eine eigene Homepage auf die Beine gestellt: Unter www.ig-ktp.de gibt es unter anderem einen Überblick über die Kindertagespflegepersonen in Neuss.