Autozulieferer will „Komponenten für militärischen Bedarf“ produzieren Pierburg: „keine Explosivstoffe“

Neuss · Für die einen war es „die wohl sinnloseste Sitzung, seit ich mich politisch engagiere“ (CDU-Stadtverordneter Thomas Kaumanns), für die anderen die Gelegenheit, „einer Munitionsfabrik im Hafen eine Absage zu erteilen“ (Michael Klinkicht, Neuss jetzt!). Die letztgenannte Wählergemeinschaft hatte von der Verwaltung eine Sondersitzung einberufen lassen, nachdem die Pläne öffentlich wurden, dass die Rheinmetall-Tochter Pierburg am Hafenbecken 1, bisher ein Automobilzulieferer, offenbar auf Rüstungsproduktion umgestellt werden soll.

Das Friedensbündnis Neuss – hier beim Neusser Ostermarsch – spricht sich gegen die Umstellung von Pierburg auf Rüstungsproduktion aus.

Foto: Friedensbündnis Neuss

In dieser Sitzung des Hauptausschusses hatten Klinkicht und seine Parteifreundin Ingeborg Arndt auf ein klares Statement der Politik-Kollegen gehofft: „Der Rat der Stadt Neuss lehnt das Vorhaben von Rheinmetall, zukünftig am Hafenbecken 1 Munition und Waffen zu produzieren, ab.“ Dieser Beschlussvorschlag wurde letztendlich gar nicht abgelehnt, denn Klinkicht hatte den Antrag vorerst zurückgezogen, nachdem er merkte, dass diesem nahezu alle Parteien ablehnend gegenüberstanden.

„Entschieden wurde in der Sondersitzung des Haupt- und Sicherheitsausschusses nichts. Es bestehen auch weder bau- noch planungsrechtliche Entscheidungsgrundlagen“, macht Stadtsprecher Marc Bohn deutlich, dass die Stadt hier keine Möglichkeit habe, die Entscheidung des Unternehmens zu beeinflussen. Bürgermeister Reiner Breuer hatte die Ausschussmitglieder über ein Gespräch mit Rheinmetall/Pierburg informiert. Demnach nutze Rheinmetall derzeit alle Möglichkeiten, um die Stückzahlen zu erhöhen, vor allem im Munitionsbereich. Zwei Rheinmetall-Standorte – Neuss und Berlin – sollen künftig überwiegend Produkte oder Komponenten für die Rheinmetall-Division „Weapon and Ammunition“ produzieren. „Endgültige Entscheidungen über die Ausgestaltung sind jedoch noch nicht gefallen“, so das Unternehmen. Die Rede ist von „Hybrid-Standorten“, von der Absicherung von Auslastung und Beschäftigung an den Standorten. In Neuss sollen demnach neben Aktivitäten im zivilen Bereich künftig Schutzkomponenten und weitere mechanische Komponenten gefertigt werden, die dem militärischen Bedarf dienen. Ein Konzept dafür sei den Belegschaften der Standorte bereits vorgestellt worden und befinde sich nun in den zuständigen Gremien in Abstimmung mit Belegschaftsvertretern. Und das Unternehmen verspricht: „Explosivstoffe sollen an den Standorten nicht verarbeitet werden.“
Michael Klinkicht bleibt dennoch weiter skeptisch, führt an, dass „möglicherweise in Neuss Zuliefererteile für den Kampfpanzer Leopard 2“ hergestellt würden – „und das in direkter Nachbarschaft zur Innenstadt“. Wird er denn seinen Antrag nach der Schlappe im Hauptausschuss in den Rat am 17. Mai erneut aufrufen lassen? „Wir besprechen das noch, aber ich will nicht widerspruchslos zur Tagesordnung übergehen.“

Das sieht auch das Neusser Friedensbündnis so. Dieser nach eigenen Angaben überparteiliche Zusammenschluss von Organisationen und Einzelpersonen fordert den Stadtrat auf, „sich klar gegen die Umnutzung des Pierburg-Werkes am Hafenbecken 1 zu positionieren“. Es werde so getan, „als sei die Rüstungsproduktion eine zukunftsfähige Industrie“, empört sich der Neusser Stadtverordnete Vincent Cziesla (Die Linke). „Dabei ist die Herstellung von Waffen darauf angewiesen, dass immer weiter Krieg geführt und aufgerüstet wird. Niemand sollte Rheinmetall glauben, wenn die Geschäftsführung heute erzählt, dass die auf Milliardenkrediten basierende Waffenproduktion nachhaltig Arbeitsplätze sichere. Es ist ein Geschäftsfeld mit klarem Ablaufdatum und furchtbaren Konsequenzen.“ Falk vom Dorff (BSW-Ortsverband Neuss), Mitglied des Friedensbündnisses, sagt: „Mit der Fabrik, keine 500 Meter von der Innenstadt entfernt, macht Rheinmetall Neuss zur Zielscheibe. Wir wollen nicht Teil eines Wettrüstens sein. Und wir wehren uns gegen Kriegsvorbereitungen in unserer Stadt.“

Hans Erbe war vor einigen Jahren Betriebsrat bei Pierburg. Er verweist darauf, dass die Mitarbeiter die Errichtung des Niederrheinwerks mitfinanziert hätten. „Die Beschäftigten haben auf Teile ihres Lohnes verzichtet, weil Rheinmetall mit der Abwanderung nach Osteuropa gedroht hat“, so Erbe. „Im Gegenzug wurden ihnen zukunftsfähige Arbeitsplätze in der zivilen Zuliefererindustrie versprochen. Heute stellt Rheinmetall sie vor die Wahl, Rüstungsgüter herzustellen oder zu gehen.“

Der Bundestagsabgeordnete Daniel Rinkert (SPD) unterstützt nach seinem Besuch im Pierburg-Werk die Entscheidung von Rheinmetall, die Produktion am Standort Neuss auf die militärische Sparte umzustellen. Er betont, wie wichtig es sei, gut bezahlte Arbeitsplätze zu erhalten und die wirtschaftliche Stabilität der Region zu sichern.

Übrigens: Thomas Kaumanns stiftet sein (aufgestocktes) Sitzungsgeld dem Soldatenhilfswerk der Bundeswehr. „So können wir denen, die das Recht und die Freiheit unseres Landes verteidigen, den Rücken stärken. Ein tolles Zeichen, auch und vor allem gegen den unsinnigen Antrag, mit dem ich meine Zeit verschwenden musste.“